Mein Name ist Mohammad Ali Mosavi. Ich bin am 8.5.2000 in Afghanistan an der Grenze zum Iran geboren, wo ich teilweise aufgewachsen bin. Ende 2014 bin ich nach München gekommen. Am Anfang hatte ich große Angst, dass die Menschen mich hier nicht wollen, dass ich hier keine Freunde finden werde und dass mich hier niemand akzeptieren wird, weil ich Muslim bin. Im Iran habe ich immer gehört, dass die Christen und die Juden keine Muslime mögen und dass sie schlechte Menschen sind. Heute weiß ich, dass amerikanische und europäische Filme, die im Fernsehen gezeigt werden, sogar bewusst falsch übersetzt werden, damit ein schlechtes Bild von Christen und Juden vermittelt wird.
In den ersten zwei Jahren in Deutschland war mein einziger Kontakt mein Betreuer, aber auch vor ihm hatte ich am Anfang Angst, weil ich dachte, er hilft mir nur wegen dem Geld, dass er dafür bekommt. Ich konnte mit niemandem über meine Probleme und meine Traurigkeit reden, weil ich niemandem vertraut habe.

2016 hat mich der Betreuer in meinem Haus gefragt, ob ich bei einem Projekt mitmachen will, das youthnet heißt. Ich hatte zwei Möglichkeiten zu antworten: entweder „ja“ oder „ok“. Mein Respekt vor diesen Menschen war zu groß für ein „Nein“, größer als die Angst davor, gemeinsam mit Christen und Juden an einem Jugendprojekt teilzunehmen. Beim ersten Treffen habe ich die erste halbe Stunde die anderen nur voller Angst angeschaut, dass sie mich nicht mögen, dass sie mich beleidigen, dass sie etwas sagen, was mich verletzt. Ich hatte so viele Verletzungen, ich hatte keine Lust auf neue.
Mir war plötzlich egal, welche Religion die anderen hatten
Dann haben wir angefangen zu spielen, wir sind im Garten gelaufen, wir haben uns spielerisch berührt, haben Rollenspiele gemacht. Da gab es den einen Moment, als alle Teilnehmer im Garten gerannt sind. Da bin ich einfach stehengeblieben und habe sie alle angeschaut, wie sie laufen und spielen. Sie haben nicht gemerkt, dass ich stehen geblieben bin und ihnen zugeschaut habe. Mir war ganz egal, woher sie kamen und welche Religion sie hatten, und plötzlich hatte ich vergessen, wer ich bin, welche Religion habe ich, woher komme ich, welche Kultur habe ich, welche Hautfarbe habe ich. Das war ein sehr schönes Gefühl und ganz neu für mich. Zum ersten Mal habe ich mich in Deutschland als Teil von anderen gefühlt. Davor sah ich mich immer als das schwarze Blatt zwischen nur weißen Blättern. Und plötzlich waren die Blätter in meinem Kopf nicht mehr schwarz und weiß. Ich habe gemerkt, wir sind alle gleich. Wichtig war nicht, woher sie kamen und welche Religion sie hatten. Wichtig war nur, dass sie Menschen waren mit einem Herz.
Ich habe langsam meine Angst weggeschmissen
Im Laufe des Projektes, das ein halbes Jahr mit fünf Treffen beinhaltete, habe ich angefangen zu reden, mich zu öffnen, mich zu zeigen, wer ich bin. Die Erfahrungen waren nur positiv und ich habe langsam meine Angst weggeschmissen – aber nicht vergessen, das kann man nicht. Wir haben bei youthnet zuerst gelernt, wie man miteinander umgeht, dann, wie man mit Kameras umgeht, wie man Fotos macht. Wir bekamen ein Thema für ein Foto: „Mein München“, und das wollte ich zeigen. Ich wollte das Thema „Flüchtlinge in München“ zeigen und besonders die Angst. Denn nicht nur die Flüchtlinge haben Angst, sondern auch die Deutschen. Ich wollte in meinem Foto zeigen, dass ich, Mohammad Ali Mosavi, nach Deutschland und München passe. Beim dritten Treffen haben wir zusammen gekocht, wir haben viel gelacht und am Ende haben wir gemeinsam deutsche, türkische, afghanische und arabische Gerichte gegessen. Beim vierten Treffen haben wir die Fotos gemacht, die wir uns überlegt hatten. Beim letzten Treffen haben wir in Zweiergruppen die Fotos bearbeitet. Ich hatte das Rathaus am Marienplatz fotografiert. Jetzt wollte ich ein Foto, das ein Freund während meiner Flucht von mir gemacht hat, als es mir sehr schlecht ging und seit zwei Tagen nicht gegessen hatte, mit diesem Bild vom Rathaus kombinieren. Das Rathaus ist groß und wichtig, ich daneben bin klein und kaputt. Die Dunkelheit auf dem Bild symbolisiert meine Angst. Aber egal, wie klein und kaputt ich bin, ich passe immer noch nach München.
Jetzt lebe ich die Wahrheit
Obwohl das Projekt dann nach der Fotoausstellung im Oscar-von-Miller-Gymnasium in Schwabing zu Ende war, ist es für mich und für alle anderen bis heute nicht zu Ende. Wir sind Freunde geworden, die Deutschen und die Ausländer. Und wir treffen uns, verbringen Zeit zusammen und helfen uns. Ich bin jetzt 17 Jahre alt. 16 Jahre davon habe ich eine Lüge gelebt. Jetzt lebe ich die Wahrheit: Ich glaube und lebe, was ich sehe, dass die Menschen alle gleich sind und dass das mit Religionen nichts zu tun hat.
Anm. der Redaktion: YouthNet ist ein interkulturelles und interreligiöses Jugendnetzwerk in München, dessen Ziel es ist, Jugendliche zum Zusammenleben der verschiedenen Kulturen, Nationalitäten und Religionen in der Landeshauptstadt zu motivieren und zum Arbeiten in heterogenen Gruppen zu befähigen. Jugendliche im Alter von 15-18 Jahren, unterschiedlichster Herkunft und Religion — christlich, muslimisch, jüdisch, jesidisch — in München geboren oder nach München geflüchtet, repräsentieren die kulturelle Vielfalt der Stadt und treffen sich unter professioneller Anleitung zu regelmäßigen Projekten.