Wo man zufrieden ist – ist das Heimat?

Immer wieder werde ich mit der von Deutschen gestellten Frage konfrontiert: „Willst du in Deutschland bleiben oder nach Syrien zurückkehren?“ 

Es ist eine Frage, die zu schwierig ist, um sie leichtfertig zu beantworten. Allein zu leben ist enorm hart und traurig, der Mensch ist so geschaffen, dass er sein Leben nicht alleine führen kann. Ich bin seit drei Jahren in München. Bedauerlicherweise konnte meine Familie mich nicht nach Deutschland begleiten, da dafür das Geld fehlte.

Ich habe diesen Weg gewählt, da ich keine andere Alternative hatte: Entweder blieb ich in Syrien, was für mich nicht in Frage kam, da die Lage sehr schlecht war, oder ich verließ das Land. Doch wohin mich meine Fuße tragen würden, das wusste ich nicht. Das von mir und meiner Familie gesparte Geld reichte nur bis in die Türkei, nur mithilfe meines Onkels konnte ich meine Reise vollenden. Obwohl ich gar nicht weiß, wohin ich ganz genau gehöre. Ich bin als Flüchtling geboren. Das Gefühl hatte ich in meiner Kindheit selten, vielleicht weil Kinder die Welt auf eine andere Art und Weise betrachten. Oder weil wir ähnlich aussahen, wie die Leute um uns herum.

Ich bin halb Syrer und halb Palästinenser und da viele Länder Palästina nicht als Staat anerkennen, bin ich staatenlos. Aber welche Konsequenzen hat das für mein Leben? In Syrien hatte ich keinen Pass und das bedeutete, dass ich das Land nicht verlassen durfte. Im Arbeitsleben hatten wir weniger Chancen und trotzdem mussten wir Militärdienst ableisten. Das ist Pflicht und etwas, das ich nie verstanden habe. 

Wer bin ich? Diese Frage habe ich mir selber oft gestellt und ich konnte nie eine Antwort darauf finden. Wohlbefinden und ein guter Allgemeinzustand – bedeutet das Heimat? Wo man zufrieden ist – ist das Heimat? 

Seit ich geboren wurde habe ich mich nirgendwo wohl gefühlt. Vielleicht liegt mein Problem in Deutschland darin, dass ich ganz alleine lebe, dass ich bis jetzt dafür kämpfe, ein gutes Leben aufzubauen.

Da möchte ich noch einmal die Frage nach der Rückkehr und dem Bleiben aufgreifen.

Wenn ich die Entscheidung treffen würde, zurückzukehren, müsste ich viele Konsequenzen in Kauf nehmen. Unter anderem müsste ich wieder von Null anfangen und neue Freunde suchen, denn meine alten Freunde und Nachbarn haben sich daran gewöhnt, dass ich nicht mehr da bin. Der Alltag dort würde für mich ganz anders aussehen, auch die alten Gewohnheiten würden für mich nicht mehr ganz normal sein. Das nennt man Kulturschock. 

Wenn ich hier bleibe, dann kann ich mein Studium abschließen und danach eine Arbeit finden, um anschließend eine Familie zu gründen.

Samhs Lieblingsort in München: Der Marienplatz                                       Foto: Privat

„Körperlich habe ich mein Land verlassen aber meine Seele ist immer noch da, wo ich geboren bin.“

Am Ende meines Lebens möchte ich nicht in einem Altenheim enden. Einsam, verloren und auf die Stunde, in der das Schicksal mein Ende unterzeichnet, wartend: Das mag ich nicht erleben.

Doch so trüb ist das Leben nicht, ich habe Gott sei Dank ein solides Dach über dem Kopf, während sich andere Menschen ein kleinenes Zelt wünschen. Ich esse und bin gesund und ahne die Geborgenheit. Das alles haben und spüren viele nicht.

In letzter Zeit habe ich viel geschafft, woran ich zuweilen denken sollte, damit ich die Hoffnung nicht verliere. Ich habe es schneller als viele andere geschafft, die deutsche Sprache zu lernen und dadurch einen Studienplatz zu bekommen und die Erfahrungen, die ich jeden Tag mache, machen aus mir einen starken Mann.

Es mag sein, dass ich unter der Einsamkeit wegen des Alleinlebens und der wenigen Freunde leide, aber ich habe um mich herum wichtige Menschen, die mich unterstützen.

Das habe ich auch hier in Deutschland gelernt: Die Menge ist nicht wichtig, sondern die Qualität.

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Raphael Müller-Hotop

Ich heiße Raphael Müller-Hotop, bin Psychologe und war von Oktober 2014 bis August 2019 stellvertretender Vorstandsvorsitzender des NeuLand e.V.. Es begeistert mich jedes Mal aufs Neue das Engagement der AutorInnen und Ehrenamtlichen mitzuerleben und gemeinsam mit so vielen Menschen aus verschiedenen Kulturen dieses verbindende Projekt mitzugestalten. Was mir an NeuLand außerdem besonders gefällt ist der Austausch mit den AutorInnen und unser Ziel, durch die Vermittlung eines breiten Spektrums an Perspektiven Verstehen, Kennenlernen und Dialog zu fördern.