Wir haben in Erdlöchern gelebt

Mein Name ist Hedwig B. Ich lebte bis zum Jahre 1973 als Angehörige der deutschen Minderheit in Rumänien, genauer gesagt in Hatzfeld (Banat). Als ich 11 Jahre alt war, wurde ich – zusammen mit meiner Mutter und meinen Geschwistern – in die Bărăgan-Steppe verschleppt. Von dieser Zwangsumsiedlung waren nicht alle betroffen, nur jene, die Angehörige in Deutschland hatten und jene, die ein Vermögen hatten. Es waren auch Rumänen dabei.

1944 wurde Rumänien von Russland besetzt und wir wurden nach und nach enteignet. Ab dem Jahre 1945 gehörte uns nichts mehr. Am 18. Juni 1951 – da war der zweite Weltkrieg längst vorbei – wurden wir vom Militär abgeholt. Wir fuhren vier Tage lang in einem Viehwaggon und wurden irgendwo im nirgendwo auf einem Feld abgeladen. Wir waren in der Bărăgan-Steppe gelandet. Jede Familie bekam ein Stück Acker zugewiesen. Die Pflöcke, die schon auf dem Acker gesetzt waren, sollten die Umrandung des Hauses markieren, das wir für uns selbst bauen sollten. Für den Hausbau mussten wir erst einmal Erde ausheben. Die Erdlöcher, die dabei entstanden, dienten uns als Unterkunft, bis das Haus fertig gebaut war. So lebten wir etwa drei Monate in Erdlöchern.

Um den Hausbau leichter zu bewerkstelligen, schlossen wir uns mit weiteren vier Familien zusammen. Als der große Regen kam, wurden allerdings die ersten beiden Häuser vom Wasser unterspült und fielen in sich zusammen. Unsere Arbeit bestand darin, auf dem Staatsgut die Baumwollpflanzen zu hacken und dann die Baumwolle zu pflücken. Es gab auch eine Zuglinie, die an den Feldern vorbeiführte, auf denen wir arbeiteten. Im Sommer sahen aus den Fenstern viele Menschen, die zur Erholung ans Schwarze Meer fuhren. Vor allem die Kinder winkten uns zu. Sie wussten vermutlich gar nicht, dass wir hier gegen unseren Willen festgehalten wurden. In unserem Personalausweis stand: „DO“ – d.h. domiciliu obligatoriu – Zwangsaufenthalt. Im Sommer hatte es in der Steppe 40 Grad, im Winter war es eisig kalt. Vor allem der kalte Wind brachte Dauerfrost und viele Schneestürme mit sich. Durch den Frost war der Schnee immer sehr hart.

Foto: Hedwig B. mit ihrer Familie. 

1956, also nach knapp 5 Jahren, durften wir zurück ins Banat, allerdings mussten wir den Rücktransport selbst finanzieren. Der war nicht billig und wir verschuldeten uns. Da war ich 16 Jahre alt. Da unser Haus in Hatzfeld besetzt war, mussten wir im Stall unterkommen. Erst als der Polizist, der in unserer Wohnung wohnte, versetzt wurde, durften wir in einen Teil unseres Hauses zurück. Durch das kommunistische Regime waren wir noch vielen Schikanen ausgesetzt.

Ich kam erst spät nach Deutschland. Erst im Jahre 1973 war es für mich möglich auszureisen. Unsere neue kleine Familie – mein Mann, meine zwei Töchter und ich – lebten in Geretsried ein Jahr lang in einem Zimmer einer Baracke. Aber wir waren zuversichtlich, wir wussten, es wird anders. Meine älteste Tochter schaffte noch in Geretsried auf Anhieb den Sprung aufs Gymnasium. Ich habe nach einem Jahr eine gute Arbeit gefunden und insgesamt 24 Jahre in einem pharmazeutischen Labor in München gearbeitet. Ich bin sehr froh, hier zu sein. Die Leistungen und vor allem die ärztliche Versorgung sind großartig. Wir sind hier absolut angekommen. Und mich hat es nie mehr zurückgezogen, auch wenn ich noch sehr oft an unser Leben dort denke. Ich bin sehr dankbar, in Bayern leben zu dürfen.

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Raphael Müller-Hotop

Ich heiße Raphael Müller-Hotop, bin Psychologe und war von Oktober 2014 bis August 2019 stellvertretender Vorstandsvorsitzender des NeuLand e.V.. Es begeistert mich jedes Mal aufs Neue das Engagement der AutorInnen und Ehrenamtlichen mitzuerleben und gemeinsam mit so vielen Menschen aus verschiedenen Kulturen dieses verbindende Projekt mitzugestalten. Was mir an NeuLand außerdem besonders gefällt ist der Austausch mit den AutorInnen und unser Ziel, durch die Vermittlung eines breiten Spektrums an Perspektiven Verstehen, Kennenlernen und Dialog zu fördern.