Wie demokratisch sind wir?

Vor circa sechs Jahren schockte Nigeria, Afrikas Nation mit der höchsten Bevölkerung, die Welt, als ein Gesetz in Kraft trat, das nicht zu einer Demokratie passt. Zur Überraschung anderer demokratischer Nationen wurde in dem Land, das als größte schwarzafrikanische Demokratie gilt, das Gesetz »Same Sex Marriage (Prohibition) Act 2014« im Eilverfahren verabschiedet.

Dies geschah genau am 13. Januar 2014 unter der Regierung des ehemaligen Präsidenten, Dr. Goodluck Ebele Jonathan. Es ist ein Gesetz, das eine Eheschließung oder eingetragene Partnerschaft zwischen Personen gleichen Geschlechts verbietet.

Dieses Gesetz befähigt die Regierung zur Verfolgung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transsexuellen (LGBT) in Nigeria. Infolgedessen werden diese, im Gegensatz zu nicht-LGBT Bürgern, mit Herausforderungen legaler und sozialer Natur konfrontiert.

Das gegen andere Mitbürger (die einer Minderheit angehörig sind) vorgehende Gesetz wurde mit großer Zustimmung im ganzen Land angenommen. Gläubige der islamischen und christlichen Religion, unter anderem traditionelle Prediger, kamen zum ersten Mal zusammen – in einer sonst sehr geteilten Nation. Auf der anderen Seite steht eine Minderheit, die sich in Verdrängung, Schande, Segregation, Isolierung wiederfindet und in ständiger Angst lebt, wenn sie ihrer sexuellen Orientierung nachgeht. Und da sie keine Stimme haben und diese sowieso auch nicht gehört werden kann, sind sie dadurch einer ständigen Ausnutzung durch diejenigen, die das Gesetz ausüben, ausgesetzt.

Als wahre Gläubige, welcher Religion wir auch angehören mögen, werden wir von dem Glauben geleitet, dass alles Wissen und Verstehen zwischen Menschen von Gott komme. Er sei das ‚Super intelligente Wesen‘, das die Existenz der menschlichen Rasse auf der Erde erschaffen hat. Logisch schlussfolgernd und die modernen religiösen Argumente in Betracht ziehend, kann behauptet werden, dass demnach auch das Wissen über Homosexualität, Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle von ihm käme und an die Menschheit als Lebensweise weitergegeben wurde.

In diesem Sinne muss man sich eingestehen, dass diejenigen, die ihre Argumente auf religiöse Lehren gegen Homosexualität stützen, auf die eine oder andere Weise gegen das wahre Verständnis des Gottes, den sie verehren, vorgehen. Dieser soll das ‚Super Intelligente Wesen‘ sein, der Kompass, der die Menschen führt und der alles Wissen spendet.

Lasst uns nun einen Blick auf die kulturelle Bildungsperspektive werfen.

Mark K. Smith erkundet die Bedeutung von Bildung und schlägt in einer online Publikation (infed.org) vor, dass Bildung »ein Prozess des Einladens von Wahrheit und Möglichkeit« ist. Er fügt noch hinzu, dass sie »als die weise, hoffnungsvolle und respektvolle Kultivierung von Lernen definiert werden kann. Unter der Voraussetzung, dass jeder die Möglichkeit haben sollte, im Leben zu teilen.«

Aus diesem Grund habe ich zwei große Bedenken in Bezug auf die Umsetzung, Durchsetzung und Interpretation dieses Gesetzes.

Erstens, ich habe kürzlich mit Bestürzung über die strafrechtliche Verfolgung einer Gruppe junger Nigerianer aufgrund ihrer sexuellen Orientierung gelesen. Diese Bürger wurden wegen ihrer Homosexualität angezeigt und belangt, und dieser ist nur einer von vielen Fällen, die von der Polizei beobachtet werden.

Wenig überraschend gibt es unzählige Anschuldigungen gegen die Sicherheitsbehörden: In diesem Fall die Polizei, weil sie das Gesetz für Schikane, Einschüchterung und Ausbeutung benutzen. Das Gesetz kann auch ein Instrument sein, um politischen Gegnern womöglich etwas anzuhängen. Genau das könnte auf den Fall dieser jungen Nigerianer und andere, die im Gefängnis sitzen, zutreffen.

Auf der anderen Seite agiert heutzutage keine Nation allein. Ich sorge mich um die Demokratie, die das politische Modell ist, das wir hier akzeptieren. Besonders in der Frage, wie frei wir sind, wenn wir den Grundsatz der Demokratie aufrecht erhalten wollen.

Neben dem, was Smith sagt, gibt es eine Vielzahl an Wissenschaftlern mit unterschiedlichen religiösen Hintergründen, die hinsichtlich der Bildung seine Meinung teilen.

Gemäß einem bekannten muslimischen Denker, Allama Iqbal, heißt es in einer online Publikation (academia.edu: »Definition von Bildung; Tradition und modernes Konzept von Bildung; Ziele von Bildung«): »Bildung ist die Aktivität, Gott zu erkennen und sich selbst zu verstehen.«

Diesem Gedanken folgend gibt es keinen Grund dafür, dass ein Teil der Gesellschaft einen anderen Teil (Minderheit) wegen seiner sexuellen Orientierung, des Glaubens und Gewohnheiten durch den Missbrauch von Autorität und Legislatur segregiert, schikaniert, einschüchtert, foltert, verfolgt, festnimmt und ins Gefängnis steckt, da beide Parteien, also Homosexuelle und nicht Homosexuelle, sich ernsthaft mit der Erkenntnis von Gott und ihrer eigenen Existenz beschäftigen. Demnach sollten beide Parteien auch die freie und faire Möglichkeit haben, ihr Leben zu leben. Dies ist natürlich die Lehre der wahren Demokratie. Gleiche Rechte und Gerechtigkeit, ein egalitärer und liberaler freier Staat. Ein Staat, in dem jedes Individuum in der Gesellschaft respektiert wird, als Teil der Entwicklung und des menschlichen Wachstums- und Fortschrittsprozesses.

Demokratie als ein Regierungssystem gibt Raum für Redefreiheit, Vereinigungsfreiheit und weitere sehr bewahrte Prinzipien universaler fundamentaler Menschenrechte. Wo aber zeigen sich diese Prinzipien in uns, wenn wir doch diejenigen, die eine andere sexuelle Orientierung haben, je nach Belieben isolieren, verfolgen und ins Gefängnis stecken?

Es ist allerdings entmutigend, dass nach sechs Jahren des Inkrafttretens dieses segregierenden Gesetzes immer noch nichts dagegen getan wurde. Es gab keinen Versuch, noch einmal zu überdenken, neu zu bewerten, Kritik zu üben. Oder zu diskutieren (um Änderungen vorzunehmen), wie sehr dieses Gesetz Menschenrechtsverletzungen im Auge westlicher Demokratien und internationaler Beobachter verursacht.

Meine persönliche Meinung: das Land und die machtvollen Autoritäten müssen das Problem wieder aufnehmen. Die Welt geht in eine Richtung und wir können nicht als ein einzelnes Volk in eine andere gehen. Wir können nicht erwarten, Anerkennung zu bekommen und als wahrer demokratischer Staat akzeptiert und wahrgenommen zu werden, wenn es eine solche Vorgehensweise der Regierung gibt. Das hat uns in ein schlechtes Licht gerückt. Denn, wenn die Problematiken der LGBT-Rechte global diskutiert werden, bleibt immer die Frage:  Wie demokratisch sind wir?

Aus dem englischen übersetzt von Naemi Stolte.

Artikel teilen?

Facebook
Twitter
WhatsApp
Pinterest

Raphael Müller-Hotop

Ich heiße Raphael Müller-Hotop, bin Psychologe und war von Oktober 2014 bis August 2019 stellvertretender Vorstandsvorsitzender des NeuLand e.V.. Es begeistert mich jedes Mal aufs Neue das Engagement der AutorInnen und Ehrenamtlichen mitzuerleben und gemeinsam mit so vielen Menschen aus verschiedenen Kulturen dieses verbindende Projekt mitzugestalten. Was mir an NeuLand außerdem besonders gefällt ist der Austausch mit den AutorInnen und unser Ziel, durch die Vermittlung eines breiten Spektrums an Perspektiven Verstehen, Kennenlernen und Dialog zu fördern.