Momentan drängen unzählige vertriebene Afrikaner nach Europa, die auf der Suche nach neuen Ufern aus ihrer Heimat fliehen. Auf dem Weg zu einem der unüberschaubarsten Kontinente der Welt erwartet die hoffnungsvollen Flüchtlinge eine vorhersehbare Zukunft, schreibt Olaleye Akintola.

Nördlich des afrikanischen Kontinents, südlich der Arktis und westlich des asiatischen Kontinents gelegen, ist Europa in unserem Zeitalter der rasant wachsenden Informations- und Kommunikationstechnologie für den virtuellen Touristen nur einen Klick entfernt.
Ja, den Verlockungen Europas, die in raffiniert choreographierten Werbespots im Satellitenfernsehen und im Internet so gut eingefangen werden, kann sich auch der kritischste Geist nicht entziehen.
Im Sommer werden Freizeithungrige von der Fülle an grandiosen Städten wie Barcelona, Rom, Brüssel, Bern und München geradezu überwältigt. Wie es ein Reisetagebuch ausdrückt: „Europas vielbeneidete Einheit macht es zum wirtschaftlichen Schmelztiegel der Welt und gleichzeitig zu einem kleinen globalen Dorf für seriöse Investoren und Reisende.”
Allerdings stellte die dazu im Kontrast stehende globale Wirtschaftskrise, die die Welt im Jahr 2008 wie ein Tsunami traf, einen Wendepunkt der Weltgeschichte dar. Auch wenn sich die stärksten Wirtschaftsnationen wie die USA, Großbritannien, Deutschland und Japan langsam davon erholen, kämpft Afrikas brachliegende Wirtschaft immer noch mit ins Astronomische steigenden Arbeitslosenzahlen und in die Höhe schießender Armut, was die Afrikaner auf der Suche nach einem Auskommen dazu treibt, in einer erdbebengleichen Migrationswelle das Mittelmeer in Richtung Europa zu überqueren, in der Hoffnung, dort das goldene Vlies zu finden.
Sicherlich, Afrika ist ein Kontinent, der mit immensen natürlichen und menschlichen Ressourcen sowie mit großer kultureller, ökologischer und wirtschaftlicher Vielfalt gesegnet ist.
Aber obwohl der afrikanische Kontinent so reich ausgestattet ist, leidet er unter der äußerst abscheulichen Tragödie einer inkompetenten und rücksichtslosen Herrscherschicht, egal, ob es sich um Militärdiktaturen oder um im Entstehen begriffene Demokratien handelt.
Außerdem lebten im Jahr 2015 nach einem Bericht der Weltbank 702,1 Millionen Menschen in bitterer Armut, im Gegensatz zu 1,75 Milliarden im Jahr 1990. Davon lebten etwa 347,1 Millionen Menschen im südlich der Sahara gelegenen Teil Afrikas (35,2 % der Bevölkerung) und 231,3 Millionen in Südasien (13,5 % der Bevölkerung).
Zwischen 1990 und 2015 sank der Anteil der Weltbevölkerung, der in extremer Armut lebt, von 37,1 % auf 9,6 % und erreichte damit zum ersten Mal einen Wert unter 10 %.
Laut der Weltbank würde es „mit dem gegenwärtigen, auf dem BSP (Bruttosozialprodukt) basierenden Wirtschaftsmodell 100 Jahre dauern, die Ärmsten der Welt über das frühere Existenzminimum von $ 1,25 pro Tag zu bringen.“
Schlimmer noch, der afrikanische Kontinent stöhnt momentan unter dem erdrückenden Gewicht des nicht zu bewältigenden Terrorismus, angeführt durch die islamistische Fundamentalistengruppe Boko Haram, die im Jahr 2009 zum ersten Mal ihr abscheuliches Antlitz zeigte und in manchen westafrikanischen Ländern wie Nigeria, der Republik Niger, Kamerun, dem Tschad und Mali unfassbare Verwüstung angerichtet hat.
Auf der Liste der zehn schlimmsten Terroranschläge weltweit im Jahr 2015 steht Nigeria laut einer Studie der US-amerikanischen University of Maryland auf Platz eins, sechs und neun.
Platz eins nimmt laut einem Bericht des National Consortium for the Study of Terrorism (START) der Anschlag in Baga im nigerianischen Bundesstaat Borno am 3. Januar ein, bei dem Berichten zufolge etwa 2.000 Menschen starben.
Wegen des Anschlags auf die Moscheen in Kukawa, ebenfalls im Bundesstaat Borno, bei dem 145 Menschen starben, ist Nigeria auch auf Platz sechs der Liste vertreten. Platz neun ‚verdankt‘ Nigeria dem Boko-Haram-Anschlag auf Maiduguri, Nigeria, am 20. September, bei dem in der Stadt mindestens 117 Menschen getötet wurden, als Terroristen eine Moschee angriffen und Fußballfans, die eine Fernsehübertragung ansahen, sowie sich zufällig dort aufhaltende Personen töteten. Nach dem Irak ist Nigeria das zweite Land, in dem im Zeitraum von 2000 bis 2014 in insgesamt 13 Fällen jeweils mehr als 100 Personen an einem einzigen Tag durch Terroranschläge starben.
Afrikas großes wirtschaftliches Epizentrum, Nigeria, wird durch gesichtslose Rebellengruppen sowie durch das Einbrechen des Ölpreises auf dem internationalen Ölmarkt extrem geschwächt, was einen Dominoeffekt auf die Wirtschaft anderer afrikanischer Staaten, besonders der Mitgliedsstaaten der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) hat. So wird Afrika von seinem Platz in der Weltordnung weiter an den Rand gedrängt.
Nichtsdestoweniger konzentrieren sich die sozialen und Mainstream-Medien auf eine virale tragikomische Farce: Wie in einer endlosen Wiederholungsschleife landet immer wieder ein altersschwaches Schlauchboot, voll mit zahllosen Menschen aus Afrika, die auf einer porösen, sich als Boot tarnenden Zeitbombe, zusammengepfercht kauern. Laut einem Augenzeugen erzählen “die jammervollen Blicke der Truppe, die da von Libyen kommend Lampedusa an der italienischen Küste erreichte, die Tragödie und das Leiden aller Schwarzen.“
Nun, es ist offensichtlich, dass sich die Reisenden ihren Weg zu Fuß über die unüberwindlichsten Berge gebahnt hatten. Tag und Nacht hatten sie sich durch die Wüste geschleppt, hatten unterwegs enge Bekanntschaft mit jeglicher Naturgewalt gemacht. Durst und Hunger erinnerten sie an die Freuden, die der schweren Anstrengung folgen würden. Die Augen vom Schlafmangel blutunterlaufen, die Füße voller Blasen und taub, hielten sie dennoch den Blick fest auf die [zu erwartende] Belohnung gerichtet, als nähmen sie an einer Art Wettkampf des Lebens teil.
Aber ach! Als sie nach vielen Mühen und Plagen am Ziel ihrer Reise eintrafen, wurden sie, fassungslos und völlig ausgelaugt, ins seichte Küstengewässer gekippt, als ihr klappriges Boot kenterte. Immer und immer wieder rangen sie nach Luft und winkten – bis ihnen durch die Hilfe von Seenotrettungsteams der UN und der italienischen Marine eine Atempause gewährt wurde.
Es stimmt, dass sich der europäische Kontinent nach dem Zweiten Weltkrieg dank harter Arbeit und Einfallsreichtum fest im Bewusstsein der Welt verankert hatte. Dennoch befinden sich einige Staaten der Europäischen Union wie Italien, Spanien und Griechenland nach der weltweiten Wirtschaftsrezession in ökonomischer Bedrängnis. Dies hat zur Folge, dass deren Bürger ihr Glück zumeist in Deutschland suchen, was den europäischen Arbeitsmarkt in eine Arena für einen hitzigen Konkurrenzkampf verwandelt.
Es liegt auf der Hand, dass es unter diesen Umständen ein schlechter Zeitpunkt für hoffnungsvolle Afrikaner ist, in Europas schwächelnder Wirtschaft nach fetteren Weidegründen zu suchen.
Tröpfchenweise, doch einer Heuschreckenplage gleich, haben sie Deutschland erstürmt. Mit missionarischem Eifer verbreiten sie sich in Innenstädten, Supermärkten und Bahnhöfen; sie hören auf den nach Mutter Teresa klingenden Ruf der Bundeskanzlerin Angela Merkel, Deutschlands Türen stünden für Flüchtlinge offen. Ihre Hoffnung auf ein besseres Leben wird bestärkt. Und ihr Kampf ums Überleben hat sich in das wirtschaftliche Nervenzentrum Europas, nach Deutschland verlagert.
Von der Euphorie über Deutschlands neue Einstellung gegenüber Flüchtlingen erfüllt, machte sich der Nigerianer Goddy Esosa*, 39, in das Land auf – von Italien aus, wo er 2007 Asyl gesucht hatte. Seine Hoffnungen, die Lebensbedingungen seiner Familie zu verbessern, waren zunichte gemacht worden: Er hatte in Italien keine einträgliche Arbeit gefunden. Wie viele frustrierte Ausländer in Italien sah er sich gezwungen zu betteln, um über die Runden zu kommen. Erbittert erzählt er von seinem Kummer.
„Ich durchquerte die Wüste Malis, um über Libyen nach Italien zu gelangen. Es war die Hölle; in den drei Monaten, die ich in Libyen verbrachte, blickte ich dem Tod mehr als einmal ins Auge, bevor ich endlich nach Europa kam. Ich entging knapp dem Tod durch plündernde Araber, die darauf versessen waren, jeden illegalen Einwanderer in Libyen zu verstümmeln. Ich arbeitete illegal in einer Schweißerei, um Geld für meine Reise über das Mittelmeer nach Europa zusammenzubringen. Die Schleuser waren Unmenschen; sie hielten uns in heruntergekommenen Gebäuden und gaben uns trockenes Brot zu essen, bis wir nach Europa verschoben wurden. Ich hatte Glück, dass meine Reise trotz des maroden Bootes des Arabers schon beim ersten Mal erfolgreich verlief.”
Doch die Realität traf todesmutige Abenteurer wie Goddy und andere bald hart. Nach einem Bootsunfall vor den italienischen Inseln ins Koma gefallen, wachte er zusammen mit andern in einem Zelt der Vereinten Nationen wieder auf. Wie so viele Flüchtlinge in Italien verbrachten sie zunächst ein paar Monate “Flitterwochen” in ihrem neuen Land, bevor sie im Regen stehen gelassen wurden. Vor Supermärkten, Bahnhöfen und an Haustüren um Almosen zu betteln wurde für die niedergeschlagenen Reisenden zur edelsten Option, um Leib und Seele zusammenzuhalten. Goddy spricht seine Gedanken aus:
“Ich wachte auf, nachdem ich zwei Tage lang im Koma gelegen war, und sah die Leichen einiger Mitreisender aus Libyen am Ufer neben unserem Zelt aufgestapelt liegen. Meine Füße wurden eiskalt, ich weinte unkontrolliert und murmelte ein katholisches Gebet zu Gott. Das war der zweite blutige Zwischenfall, den ich auf meiner Reise nach Europa erlebte. In der Wüste sah ich so viele stinkende, leblose Körper von Menschen, die nach Europa unterwegs gewesen und an Durst, Hunger und Erschöpfung gestorben waren. Jetzt ist mein Herz hart wie Stahl, und ich empfinde kein Mitgefühl mehr für irgendjemanden.”
Traurigerweise gehen viele arglose Opfer der selbstgewählten Verdammnis, die über den Seeweg in fremde Länder wie Europa zu gelangen versuchen, zu Grunde, während die Überlebenden dieser Route vor in Scherben liegenden Träumen stehen und veranlasst durch den absurden, verzweifelten Wunsch, illegal erworbenen Reichtum anzuhäufen, um Kind und Kegel zu Hause zu beeindrucken, einer düsteren Zukunft entgegensehen. Goddy Esosa erzählt, wie er in dieses System hineingezogen wurde.
“Nach einem Jahr in Italien wurde mein Asylantrag dort bewilligt, aber ich fand keine Arbeit. Italiens Wirtschaft liegt brach. Ich wurde von einem österreichischen Drogenkartell rekrutiert, also zog ich nach Wien, um für die Drogenbarone zu arbeiten. Leider wurde ich in Österreich nach ein paar Monaten wegen Drogendelikten festgenommen. Glücklicherweise war ich nur drei Monate im Gefängnis. Nachdem ich meine Strafe abgesessen hatte, zog ich weiter nach Frankreich, um bei einem Freund in einem Friseursalon zu arbeiten. In Frankreich zu leben war nicht leicht, das Geld, das ich durch meine Arbeit verdiente, reichte nicht mal für meine Miete, geschweige denn um meine Frau und meine drei Kinder in Nigeria zu versorgen. Ich war gezwungen, nach Italien zurückzukehren, um dort weiter dem Bettelgeschäft nachzugehen, bis ein Freund in Deutschland mich über das dortige Asylverfahren informierte. Ich beschloss, mir in Deutschland einen Broterwerb zu suchen. Doch dort ist das Leben auch nicht besser. Das System ist strenger geworden, und die Regierung hat ihre Bürger programmiert. Ohne deutsche Sprachkenntnisse ist es für Asylanten schwer, Arbeit zu finden. Ich glaube, die Regierung will den Flüchtlingen so auf subtile Art sagen, dass sie von den Almosen, die sie erhalten, leben sollen, statt zu arbeiten.”
Natürlich sind viele in ihrer Unbedarftheit auf die Verlockungen von Europas Pracht und Glanz hereingefallen, die ihnen durch die Medien unbeabsichtigt immer wieder vorgeführt werden. Es hilft auch nicht, dass zahlreiche Afrikaner, die aus Europa zurückkehren, leichtgläubige Individuen geradezu missionieren, um sie vom europäischen Traum zu überzeugen, und dabei die Gefahren der gewissenlosen Migration verschweigen.
Beispielsweise befinden sich 60 % der aktiven Bevölkerung des nigerianischen Bundesstaats Edo im selbstgewählten Exil in Europa. Das Volk von Benin, wie sie allgemein genannt werden, macht einen Großteil der Schwarzen in Italien und damit in Europa aus.
Sunny Idahosa*, 26, stammt aus dem Bundesstaat Edo, wo Auslandsreisen ein Statussymbol darstellen. Er hat seine Zulassung zu einem Universitätsstudium verfallen lassen, um sich über das blutdurstige Meer nach Europa durchzuschlagen. Die Annehmlichkeiten, die in endlosen Erzählungen über Europa angepriesen werden, liegen in Italien, wo er letztes Jahr ankam, quälend knapp außer Reichweite. Unerschrocken schlich er sich weiter nach Deutschland, um dort Asyl zu beantragen. Seine Hoffnungen auf ein Leben dort wurden zerstört, als er nach Italien abgeschoben wurde. Sein einst so spritziges Temperament ist verkümmert.
„In Benin, wo ich herkomme, ist ‚ins Ausland gehen‘ unser Hauptberufszweig. Acht von zehn Familien haben direkte Verwandte in Übersee. Das liegt daran, dass Benin nicht industrialisiert ist. Ich war geschockt vom Anblick junger Mädchen, die Benin für lange Zeit verließen, um in Napoli als Sexarbeiterinnen ihr Geld zu verdienen. Ich war der Illusion erlegen, dass Europa so eine Art Paradies sei. Wir waren vier Jungs, die sich von Nigeria nach Europa aufmachten, aber zwei von uns ertranken im Meer. Ich glaube, unsere Leute müssen über die Gefahren der illegalen Migration aufgeklärt werden. Ich hätte zur Schule gehen oder ein nützliches Geschäft erlernen können, um mir meinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Stattdessen lief ich einem Trugbild hinterher, und habe nichts Greifbares erreichen können. Das ist es nicht wert, dafür Leib und Leben zu riskieren. Ich hoffe nur, dass ich irgendwann Glück habe. Meine Familie wartet darauf, dass ich ihnen etwas zurückschicke.”
Man muss kein Genie sein, um zu erkennen, dass der Bürgerkrieg in Libyen den Menschenschmuggel durch das Land begünstigt. Einem Bericht zufolge sind über 1.800 Migranten auf der Überfahrt ertrunken. Etwa 450 Migranten wurden kürzlich von einem italienischen Marineschiff nach Augusta auf Sizilien gebracht, nachdem sie aus dem Mittelmeer gerettet worden waren. Es wird erwartet, dass dieses Jahr etwa 850.000 das Mittelmeer heimlich überqueren werden.
In einer Stellungnahme vom April dieses Jahres nannten die Vereinten Nationen die gegenwärtige Krise auf dem Mittelmeer eine Tragödie von epischem Ausmaß.
Laut vorläufiger Schätzung der internationalen Flüchtlingsorganisation vom 20. April gab es zwischen Januar und April etwa 18 Mal so viele Todesfälle unter Flüchtlingen im Mittelmeer wie im gleichen Zeitraum des letzten Jahres.
Auf lange Sicht ist die wachsende, ungesunde Migrationswelle nach Europa durch waghalsige Asylsuchende, besonders aus Afrika, ein unwiderlegbarer Beweis für die Krankheit des Führungsversagens, von der der afrikanische Kontinent befallen ist. Es scheint kein Ende der barbarischen Expedition von Afrikanern nach Europa in Sicht, während die Afrikanische Union durchführbare politische Maßnahmen zur Abwendung der katastrophalen Migration trotz des erhöhten Drucks, den die Europäische Union ausübt, nach wie vor schuldig bleibt.
Nachdem er Teile Europas durchquert und dabei alles riskiert hatte, stellte sich Sunny Idahosas sehnlicher Wunsch nach einem Leben in Luxus als unerfüllbare Utopie heraus, als sein Aufenthalt in Deutschland, wo er gehofft hatte, seinen zerstörten Traum wieder aufbauen zu können, durch seine Abschiebung nach Italien beendet wurde. Dort musste er wieder von vorne anfangen.
„Bevor ich es endlich schaffte, von Libyen nach Europa überzusetzen, musste ich Agenten der Bootsmänner über 2.000 Dollar zahlen. Das ist völlig absurd. Wenn ich das ganze Geld, das ich in die Reise gesteckt habe, verwendet hätte, um in Afrika mein eigenes Unternehmen zu gründen, hätte ich einen stabilen Umsatz erzielen können. Hier in Europa muss ich immer noch sparen, um zu überleben, und habe nichts mehr übrig. Ich glaube, Europa ist ein belagerter Ort, manche Leute flüchten von dort, andere versuchen hineinzugelangen. Unsere selbstsüchtigen Anführer haben uns in diese Reise ohne Wiederkehr gezwungen. Die Lage hat sich wirklich zugespitzt; die afrikanische Führung ist ein einziger, monumentaler, nicht zu korrigierender Fehlschlag. Ich habe gegen das Dublin-Abkommen verstoßen, indem ich sowohl in Italien als auch in Deutschland Asyl beantragt habe. Bald werde ich nach Italien abgeschoben. Ich fürchte, in Italien muss ich wieder betteln. Die Sozialleistungen für Asylbewerber in Italien sind sehr gering.”
Die Erfahrungen, die Europa-Junkies mit dem Leben dort machen, werden sehr gut durch die Kriegsparole zusammengefasst: „Manche können von Glück reden, andere lecken ihre Wunden.“ Wie für ungebetene Gäste in einem reglementierten Milieu nicht anders zu erwarten, gleicht das Leben der meisten Einwanderer in Europa einem riskanten Glücksspiel. Europa ist eine verkrustete Gesellschaft, die durch Eigenwert gedeiht, was oft für Fremde in dem System schwierig ist von heute auf morgen zu erschließen. Anders als in anderen Industrienationen wie den USA, Kanada oder Großbritannien ist es in Europa für Neulinge gewöhnlich kein Kinderspiel, ihre ureigenen Normen abzulegen und neue Ideale anzunehmen. Das Elend der Identitätskrise manifestiert sich oft in den Afrikanern, die in Europa leben.
Dennoch haben es einige Migranten allen Widrigkeiten zum Trotz geschafft, das Blatt für sich zu wenden. Andere hingegen müssen sich erst noch mit ihrem neuen Wohnort arrangieren. Die Sprachbarriere, unterschiedliche Einstellungen, das Wetter und das Arbeitssystem sind nur einige der Dinge, über die sich die Neuankömmlinge den Kopf zerbrechen müssen.
Emeka Stanley*, 39, aus Sierra Leone, ist ein Quartalstrinker, der wie in Trance vor sich hinlebt. Obwohl er 15 Jahre in Europa verbracht hat, ist er von seinem Wunsch, sich sein eigenes Reich aus den Trümmern aufzubauen, abgekommen. Jetzt lebt er ein Leben, wie er es sich nie vorgestellt hatte. Er hat mehr verloren, als er sich ins Gedächtnis rufen kann.
„Ich bin von Marokko aus nach Europa gekommen. Viele Jahre lang lebte ich in Spanien, bevor ich nach Deutschland ging, wo ich jetzt Asyl beantragt habe. Mein Weg war nicht ohne Hindernisse. Als ich im Jahr 2000 ankam, hatte ich zunächst Schwierigkeiten, Spanisch zu lernen. Mit Gottes Hilfe begann ich nach drei Jahren, die Sprache zu sprechen und zu schreiben. In Spanien zu überleben war nicht sehr einfach. Ich musste mich einer Gruppe von Cyber-Kriminellen anschließen, um über die Runden zu kommen. Ich wurde oft erwischt und kam in Spanien ins Gefängnis. Später gab ich diese Beschäftigung auf und fing an, mit Drogen zu dealen. Ich habe in den meisten westafrikanischen Ländern mit Drogen gehandelt. Auf dem Rückweg von Ecuador wurde ich in Holland verhaftet, wo ich dann drei Jahre im Gefängnis verbrachte. Das war der Anfang eines Wendepunkts in meinem Leben. Zuvor hatte ich eine Aufenthaltsgenehmigung für Spanien, aber die wurde widerrufen, als ich ins Gefängnis kam. Nachdem ich meine Gefängnisstrafe in Holland abgesessen hatte, ging ich nach Schweden, um dort Asyl zu beantragen. Dort war ich zwei Jahre lang, aber das schwedische Asylsystem ist nicht nett. Vor einem Jahr kam ich nach Deutschland. Jetzt versuche ich, das Beste aus meiner Zeit hier zu machen.“
Stanley kämpft momentan mit emotionalen Problemen und befindet sich in psychiatrischer Behandlung. Seine psychischen Probleme werden durch seine Alkoholsucht noch verschärft. Er sagt, Alkohol ist für ihn ein Mittel zur Flucht, nachdem sein Traum zerstört wurde und er auch noch seine Mutter und seine Tante verloren hat. Er ist aggressiver und aufbrausender als sonst.
“Vor zwei Jahren verlor ich meine Mutter, und dieses Jahr meine Tante. Sie waren die zwei wichtigsten Menschen in meinem Leben. Ich konnte meiner Familie kein Geld für das Begräbnis schicken. Ich bereue, dass ich nach Europa gekommen bin. Ich habe den Kontakt zu meinen Familienmitgliedern und Freunden verloren. Und bin in meinem Alter immer noch nicht verheiratet. Wann soll ich anfangen, Kinder großzuziehen? In Deutschland habe ich keine Arbeit. Ich muss Deutsch sprechen, um einen guten Job zu finden. Wo soll ich anfangen? Mein Leben wird nie wieder so wie früher sein. Meine Freunde in Afrika sind besser dran. Ich brauche Papiere, um nach Hause zu reisen. Jetzt trinke ich viel Bier, um meine Vergangenheit zu vergessen. Wenn alle Stricke reißen, gehe ich zurück nach Spanien und versuche, dort meine Papiere zu bekommen, um wieder bei meiner Familie zu sein.“
*Der Name wurde geändert