Über Freundschaft

Ein Interview mit Tarek Alhafeez

Neuland:

Du hast mir erzählt, dass du jetzt schon ein Jahr auf eine Antwort auf deinen Asylantrag wartest. Wo nimmst du die Energie her, positiv zu bleiben und nach vorne zu schauen?

Tarek:

Aus Freundschaften.

Wo findest Du Freunde?

Die meisten im Camp in der Hansastraße.

Ist da nicht ein Kommen und Gehen, sodass es schwierig ist, Freundschaften zu schließen und zu erhalten?

Nein, wenn einer geht, bleiben wir in Kontakt. Und einige sind auch wie ich schon so lange da. Neben uns ist das Feierwerk. Sie organisieren dort tolle Welcome- und Musik-Partys, wo Leute aus der ganzen Welt zusammen kommen, auch viele Deutsche. Da kann man auch gut Leute kennenlernen und Freundschaften schließen.

Was bedeutet Freundschaft für dich?

Familie. Ich bin hier ganz alleine und wenn ich enttäuscht oder traurig bin, dann kann ich meinen Freunden erzählen.  Freunde sind natürlich etwas anderes als Familie, aber ich nenne sie so. Wenn ich deprimiert bin, dann hört mir ein Freund zu und sagt: „komm, wir trinken einen Kaffee“ – das hilft sehr. Und wir helfen uns gegenseitig, Deutschland, seine Kultur und die Menschen zu verstehen, was man tun soll und was nicht.

Was ist der Unterschied zwischen der Freundschaft, wie du sie aus deiner Heimat kennst, und der hier?

Das ist hart. Ich wuchs mitten in Damaskus auf. Alle meine Freunde sind mit mir aufgewachsen. Wir spielten alle zusammen jeden Tag im Hof, bis die Mütter uns zum Essen riefen. Mädchen, Jungen, alle zusammen. Wir spielten Verstecken, Klettern, Fußball. Es war eine glückliche Kindheit. Später gingen wir alle zusammen zur Schule und haben dort neue Freundschaften gefunden. Ich musste mir nie Freunde suchen, sie waren einfach da.

Hast du noch Kontakte zu deinen Freunden aus Damaskus?

Ja, absolut. Zu fast allen.

Wo sind sie heute?

In Dubai, Frankreich, Amerika, Türkei, manche auch noch in Damaskus. Und manche sind auch in Deutschland, aber nicht in München. Über facebook können wir in Kontakt bleiben.

Ihr habt alle eine ähnliche Geschichte erlebt und könnt euch gut ineinander einfühlen, wenn ihr deprimiert seid. Kannst du dir vorstellen, einen Deutschen als echten Freund zu haben, der deine Geschichte zwar kennt, aber nicht nachfühlen kann?

Ja. Wenn ich einem anderen Flüchtling meine Geschichte erzähle, klar, dann fühlt er wie ich. Aber gleichzeitig fühlt er seinen Schmerz. Wenn ich meine Geschichte einem Nicht-Flüchtling erzähle, kommt er nicht in Berührung mit seinem Schmerz, sondern mit meinem. Dann wird er versuchen, mich zu stützen.

Manche Deutsche wollen bestimmt Freundschaft mit Flüchtlingen schließen. Denkst Du, dazu müssen sie die Geschichten der Flüchtlinge kennen? Sollen wir Deutsche euch nach eurem Erlebten fragen, oder ist das indiskret? Und wenn wir nicht fragen, wirkt das dann desinteressiert?

Manchmal ja, manchmal nein. Klar, in einer echten Freundschaft muss man alles voneinander wissen. Aber das braucht Zeit. Und viele Deutsche wären sicher überfordert, wenn die Flüchtlinge gleich ihre ganze Horrorgeschichte erzählen würden. Da ist es viel besser, sich über gemeinsame Hobbies wie Fußball, Musik oder spazieren gehen kennenzulernen. Wenn man sich versteht und zusammen lachen kann, wird man sich langsam gegenseitig von sich erzählen.

Wenn du hier im Park Kinder spielen siehst, siehst du das Gleiche wie in deiner Kindheit?

Ja, genau das Gleiche. Die Kinder spielen überall das Gleiche. Vor kurzem war ich mit einem Freund im Park. Wir saßen auf einer Wiese und neben uns war ein Spielplatz mit Wasser. Die Kinder hatten eine leere Flasche, füllten Wasser rein und spritzten sich gegenseitig voll. Vor ein paar Tagen war es im Camp so heiß, wir spielten genau das Gleiche. Und auch in Damaskus spritzen sich die Kinder auf die gleiche Weise gegenseitig nass. Aber heute spielen die Kinder in Damaskus in den Straßen Krieg. Sie nehmen sich zum Beispiel Stöcke von den Bäumen und spielen: „Ich bin von der Regierung, und du nicht. Jetzt kämpfen wir“.

Du bist ein sehr offener, kluger und kontaktfreudiger junger Mann, der viel unternimmt und viele Leute kennenlernt und schnell Freundschaften knüpft. Sind viele in deinem Camp wie du?

Ich bin so viel draußen, ich weiß es gar nicht genau. Aber ich schätze, ungefähr 20 % sind immer alleine in ihrem Zimmer und wollen keine Kontakte. Auch nicht zu uns, die wir ja mit ihnen zusammen leben.

Am Anfang hast du erzählt, deine Energiequelle sind die Freundschaften. Du wirkst sehr positiv. Dann hast du wohl wirklich sehr gute Freunde…

Ja, manchmal habe ich fast ein schlechtes Gewissen, dass ich so gute Freunde habe, die mich immer aufrichten und mir helfen. Egal wann, sie haben immer Zeit für mich. Ich habe viel Zeit, weil ich leider nicht arbeiten kann, aber sie arbeiten. Trotzdem kann ich immer zu ihnen in ihr Büro kommen, und sie hören immer zu und geben mir das Gefühl, dass ich einen großen Berg hinter mir gelassen habe und nichts Schlimmeres mehr kommen kann. Und diese Menschen sind Deutsche.

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Raphael Müller-Hotop

Ich heiße Raphael Müller-Hotop, bin Psychologe und war von Oktober 2014 bis August 2019 stellvertretender Vorstandsvorsitzender des NeuLand e.V.. Es begeistert mich jedes Mal aufs Neue das Engagement der AutorInnen und Ehrenamtlichen mitzuerleben und gemeinsam mit so vielen Menschen aus verschiedenen Kulturen dieses verbindende Projekt mitzugestalten. Was mir an NeuLand außerdem besonders gefällt ist der Austausch mit den AutorInnen und unser Ziel, durch die Vermittlung eines breiten Spektrums an Perspektiven Verstehen, Kennenlernen und Dialog zu fördern.