Schöner als der Eiffelturm

Ein Blick zurück auf den NeuLand-Wandertag am Staffelsee

Ich wandere sehr gerne lange Strecken, deswegen muss ich die ganze Zeit Wandern gehen. Dieses Mal wird meine Oide mit mir zum Wandern gehen. Sie ist nicht daran gewöhnt, lange bergsteigen zu gehen. Dieses Bergsteigen erinnert mich jedes Mal daran, wie ich 400 km gegangen bin, als ich vor dem Islamischen Staat geflohen bin.  Meine Freunde haben mir vorgeschlagen, dass wir zum Staffelsee gehen und den schönen Wald genießen. Ich habe sofort zugestimmt, weil ich mich danach sehne, die bayerischen Wälder zu erkunden. Das Spazieren im Wald und sich dabei zu unterhalten, macht mir Spaß. Aber wir mussten auf der Hut sein und wie Schlangen gehen. Immer musste ich mich umdrehen und beobachten, ob uns jemand folgt. Und deswegen schaute ich zurück und stolperte fast über eine Wurzel. Meine Frau sah das und pfiff, damit ich besser aufpasse.

Jedes Mal schauten wir in die Karte hinein, um uns zu orientieren. Es war sehr schwierig, aber als ich wieder nach oben in die schönen Baumkronen sah, hatte ich wieder Kraft zum Weitergehen. Wir trafen dabei andere Wanderer und die gaben mir Motivation zum Weitergehen. Es waren Burschen, sie grüßten mich auf Englisch und ich antwortete auf Bayerisch. Während des Wanderns zog ich die Brotzeit aus meinem Rucksack, den ich auf dem Rücken trug. Der Anblick der schönen Natur, eines Wasserfalls, der herabfloss wie das lange Haar eines schönen Mädchens, machte mir Appetit auf die gute Brotzeit.

Mohammad und Hanna Alkhalaf wandern gerne durchs Voralpenland – auch wenn sie dabei immer wieder an ihre Heimat und Flucht denken müssen. Foto: Privat

Wir waren bei der Mitte der Reise angekommen und leider war da schon meine Brotzeit aufgegessen. Ich sah einen großen Baum und der Wind pfiff, ich hörte das Blätterrauschen und da bekam meine Frau Angst. Wir sahen ein kleines Tier von Baum zu Baum hüpfen, es war ein Eichhörnchen. Sie dachte, es wäre ein Wolpertinger. Sie bekam Angst, fasste meine Hand und kam näher zu mir heran. Das war schön für mich. Da meine Frau neu in Bayern ist, habe ich ihr ein paar Geschichten erzählt, zum Beispiel über die Räuberbraut.

Sie hatte Angst davor, dass die Räuberbraut sie bestiehlt. Ich erinnerte mich daran, als ich in den Wäldern von Ungarn war. Wir waren auf der Flucht und die Polizei kam uns auf die Spur und fasste einige meiner Mitflüchtlinge, aber einem Freund und mir gelang die Flucht. Wir hatten nichts mehr zu essen und mussten mitten im Wald in der Nacht übernachten. In unserer Not aßen wir die Blätter vom Baum. Auf unserer Tour durch Bayern hatten wir auch Hunger, aber dieses Mal brachte uns unser Freund zu einer Hütte, diesmal war es eine schöne Überraschung. Die Hütte lag an einem Flussufer. Ich vermutete zuerst, dass es ein Bienenstock war und ich hatte Angst, dass die Bienen herauskommen und uns stechen. Als wir die Hütte betraten, hatte ich im ersten Moment den Eindruck, dass das eine Zauberei von Aladin und seiner Wunderlampe war.

Das Teewasser kochte auf dem Feuer, da standen Couscous, Trauben, Falafel und Kaiserschmarrn. Die Brezen waren auf drei Tellern, die übereinander standen, der Anblick war schöner als der Eiffelturm. Ein bayerisch-arabisches Multi-Kulti-Restaurant. Wir haben schön aufgetankt. Als ich diese kleine Hütte sah, hatte ich gemischte Gefühle, es war alles so klein und gemütlich, der Schlafplatz war direkt neben der Küche, alles in einem Raum. Die Früchte lagen auf einem Teller, der von der Decke herabhing. Darüber freute ich mich. Die Besitzerin der Hütte war eine 60-Jährige Dame, Gisela, eine NeuLand- Redakteurin. Ich war traurig, weil ich dachte, dass sie in dieser Hütte lebt. Da kamen mir ein bisschen die Tränen. Aber dann sagte sie uns, dass sie nur am Wochenende dahin fährt, um von dem Stress in der Großstadt Abstand zu nehmen, dann freute ich mich wieder.

„Ich war stolz darauf, dass ich hier leben kann, wo die bayerische Landschaft so schön ist“

Als wir weiterzogen, kamen wir an einen Fluss und mussten ihn überqueren, allerdings hatten wir keine Brücke. Deswegen brachten wir einen Baumstamm und ich feuerte die Frauen an: „Hauruck, hauruck, hauruck!“ Einer sagte zu mir: „Aber wir sind doch nicht beim Maibaumfest!“

Als wir so gingen, sah ich Baumstämme am Boden liegen. Ich wollte sie aufheben und nach Syrien schicken, denn momentan sind 275 000 Flüchtlinge in Syrien auf der Flucht. Ich würde gerne den Menschen das Holz schenken, damit sie Feuer machen können und es warm haben. Momentan gibt es wieder Krieg in Syrien.  Wir gingen aus dem Wald heraus in Richtung Staffelsee. Als wir aus dem Wald herausgingen, sahen wir den See umringt von Gebirgen und Bäumen, es war so ein wunderschöner Anblick, wie ein gemaltes Bild.

Mein syrischer Freund aus Dortmund war mit uns. Ich zeigte ihm Bayern, ich war stolz darauf, dass ich hier leben kann, wo die bayerische Landschaft so schön ist. Mein Speicherplatz war voll von all den schönen Bildern, die ich gemacht habe. Das letzte Foto, das ich gemacht habe, waren meine Frau und ich – wir standen auf Baumwurzeln im Wasser und streckten unsere Arme zur Seite, wie auf dem Titelbild von Titanic. Ich sammelte Blätter vom Boden und hängte sie im Klassenzimmer auf. Die Kastanien steckte ich – als Augen – auf einen Kürbis.

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Raphael Müller-Hotop

Ich heiße Raphael Müller-Hotop, bin Psychologe und war von Oktober 2014 bis August 2019 stellvertretender Vorstandsvorsitzender des NeuLand e.V.. Es begeistert mich jedes Mal aufs Neue das Engagement der AutorInnen und Ehrenamtlichen mitzuerleben und gemeinsam mit so vielen Menschen aus verschiedenen Kulturen dieses verbindende Projekt mitzugestalten. Was mir an NeuLand außerdem besonders gefällt ist der Austausch mit den AutorInnen und unser Ziel, durch die Vermittlung eines breiten Spektrums an Perspektiven Verstehen, Kennenlernen und Dialog zu fördern.