Prostitution in meiner Unterkunft – eine Zwischenwelt

Ein Flüchtling zu sein ist nie einfach und es spielt keine Rolle, ob man ein Flüchtling in Europa, in Afrika oder sonst wo auf der Welt ist. Es ist noch schlimmer für weibliche Flüchtlinge, da sie in jeder Hinsicht im Leben verletzlicher sind. Ihre Flucht von über tausende von Meilen, über die sengend heißen Wüsten, steilen Berge und wilden Meere sind für eine gewöhnliche Person, die sie nicht erlebt hat, unvorstellbar. Seitdem ich damals in der Asylunterkunft miterlebt habe, was Frauen dort erfahren haben, bin ich jetzt beeindruckt und erstaunt über ihre Ausdauer und Kraft. Man würde eigentlich denken, dass die Überlebenskämpfe, die Flüchtlinge durchstehen, ein Ende haben, sobald sie in die sogenannten sicheren europäischen Ländern kommen. Dachte ich auch. Aber Asylsuchende, vor allem Frauen, sind weiterhin mit vielen Fragen konfrontiert, von denen einige den Kern ihrer Existenz bedrohen.

Die Arbeitslage geflüchteter Frauen

Trotz dieser Tatsache sind die meisten Flüchtlinge aber glücklich, wenn sie eine Arbeit, egal welche, finden, nachdem sie erst in einem neuen Land angekommen sind. Die Herausforderung ist aber, dass die Suche nach einem Job ohne Sprachkenntnisse nahezu unmöglich ist. Und doch gibt es Möglichkeiten freier oder bezuschusster Deutschkurse, aber in den meisten Fällen für Personen mit anerkannten Asylfällen. Oder für diejenigen, die eine Bleibeperspektive haben. Anschließend wird die Situation noch schwieriger, denn für Männer gibt es viele Jobs, für die sie keine Sprachkompetenz brauchen. Die Jobs, die es für Frauen gibt, erfordern aber gute Sprachkenntnisse. Also ist es für Frauen noch schlimmer als für Männer, wenn sie die Sprache nicht können. Außer wenn sie putzen gehen. So werden einige Frauen mit der bitteren Realität der Arbeitslosigkeit konfrontiert, die viele in die sexuelle Ausbeutung zwingt. Und weil sich Flüchtlinge normalerweise in Flüchtlingsunterkünften von der Gesellschaft isoliert fühlen, wird das ein leichter Zugang für männliche Freier.

Bedrängt von deutschen und geflüchteten Männern

Kein Wunder, dass ich immer seltsame männliche Gesichter sah, die auf der Jagd nach ihrer Beute in der Flüchtlingsunterkunft herumschwirrten. Die meisten von denen taten dies durch Verschleierung: Sie baten Hilfe an, wo immer der Flüchtling sie brauchte. Sei es, einen Schrank in ihrem Zimmer zu bauen oder sie zu den offiziellen Behörden zu begleiten. Sogar die männlichen Flüchtlinge, die in der Unterkunft wohnten, benutzten uns weibliche Flüchtlinge. Ich hatte mal in einen bitteren Streit mit einem Afghaner, nachdem er mich regelmäßig gebeten hatte, mit ihm gegen Geld zu schlafen. Aber bevor ich mich gegen seinen wahnsinnigen Vorstoß wehren konnte, kam ein anderer Asylsuchender afrikanischer Herkunft zu mir, der 50 Euro für das Gleiche anbot. Ich war so empört und voller Aggressionen, dass ich ihn anschrie, er solle mich nie wieder ansprechen. Ich war nicht nur sehr beleidigt, sondern auch sehr verunsichert in einem Land, wo ich Sicherheit erwartet hatte.

Unter dem Deckmantel der Hilfsbereitschaft

Manchmal war es sogar üblich, dass Autos in der Nähe des Hauses parkten. Mit dem Grund, jemanden, der in der Unterkunft wohnte, zu suchen. Oder ein Mann fragte nach einer Wegbeschreibung. Aber das waren alles Ausreden, um einer Frau näher zu kommen. Sobald sie ihm näherkam, lud er sie in sein Auto ein, wo er dann seine zweifelhaften Angebote machte. Diese Männer waren sehr zynisch in ihrem Verhalten. Sie besuchten die Unterkünfte auf der Suche nach jungen naiven Frauen, die noch frisch in das Land gekommen waren. Diejenigen, die noch blauäugig und naiv waren und das System nicht kannten. Sie versprachen sogar, ihre Asylfälle zu unterstützen, damit sie nicht abgeschoben werden würden.

„dieses Mal fragte er mich, ob ich ihm eine Ganzkörpermassage gegen Geld geben könnte.“

Auf diese Weise werden viele Frauen zur Beute. Ich traf auch einmal einen deutschen Mann in meinem Asylheim. Ich war mir ziemlich sicher, dass er dort war, um einen Freund zu besuchen. Stattdessen hielt er mich an und bat um eine Frau namens Frida (Pseudonym). Später, als ich Frida über ihn informierte, runzelte sie sofort Stirn vor Ekel. Sie erklärte mir dann, dass er ihr immer Geld gegen Geschlechtsverkehr anbot, damit sie ihre Großfamilie und Kinder zu Hause unterstützen konnte. Ein paar Tage später traf ich nochmal den gleichen Mann in unserem Haus. Er erinnerte sich an mich und dieses Mal fragte er mich, ob ich ihm eine Ganzkörpermassage gegen Geld geben könnte. Ich war so entrüstet, dass ich explodierte.

Für viele Frauen könnte dies ein zusätzlicher Anreiz sein, ihre Großfamilien zu unterstützen. Aber für andere könnte es eine bittere Erinnerung an die erzwungene sexuelle Ausbeutung sein, die sie während der brutalen Übergangsfahrten nach Europa durchgemacht haben. Wo sie unter Druck gesetzt wurden, Sex mit den Schmugglern zu haben, um ihre Flucht fortsetzen zu können.

Darüber hinaus zwingen die frustrierenden Arbeitsmöglichkeiten und die mangelnden Sprachkenntnisse viele Flüchtlinge zwischen Entbehrung und einer Zwischenwelt zu wählen, die von Prostitution und vom Schwarzmarkt dominiert wird. Insgesamt werden Flüchtlinge und Immigranten – vor allem Frauen  – schnell Opfer von Diskriminierung und Ausbeutung verschiedener Arten.

Artikel teilen?

Facebook
Twitter
WhatsApp
Pinterest

Raphael Müller-Hotop

Ich heiße Raphael Müller-Hotop, bin Psychologe und war von Oktober 2014 bis August 2019 stellvertretender Vorstandsvorsitzender des NeuLand e.V.. Es begeistert mich jedes Mal aufs Neue das Engagement der AutorInnen und Ehrenamtlichen mitzuerleben und gemeinsam mit so vielen Menschen aus verschiedenen Kulturen dieses verbindende Projekt mitzugestalten. Was mir an NeuLand außerdem besonders gefällt ist der Austausch mit den AutorInnen und unser Ziel, durch die Vermittlung eines breiten Spektrums an Perspektiven Verstehen, Kennenlernen und Dialog zu fördern.