Dies ist Teil IV von Iimaan H.‘s Fluchtbericht. Am Ende des Teil III beschrieb der NeuLand-Autor wie sein Versuch über das Mittelmeer zu kommen zunächst scheiterte und er dann – zurück in Tripolis – völlig mittellos und ohne Papiere ins Gefängnis kam. Der folgende Bericht bezieht sich auf den Zeitraum April 2014 bis August 2016.

Mit mir waren da noch einige Somalier gefangen. Libyer sind gegenüber Somaliern misstrauisch, weil sie diese für unzuverlässig halten und annehmen, dass sie, wann immer möglich, fliehen. Sie erlauben also Somaliern nicht, das Gefängnis zu verlassen, um Geld zum Freikauf verdienen zu können. Als aber zwei Männer für Renovierungsarbeiten an Türen und Fenstern gesucht wurden, nutzte ich diese Chance und bot mich als Fachmann an. Der „Arbeitgeber“ war ganz zufällig der Offizier, der uns gefangen hatte. Mit mir zusammen meldete sich ein Mann aus Ghana. Wir arbeiteten zuverlässig und gut, so dass mir der Offizier die Freiheit versprach. Auf diese Weise kamen wir nach 45 Tagen tatsächlich frei.
Weil ich nur einen vorläufigen Ausweis der UN in Tripolis hatte, wollte ich nach Tunesien gehen, um dort bei der Geschäftsstelle der UN einen Flüchtlingsausweis zu bekommen, den auch die libyschen Soldaten respektierten. Zusammen mit drei Landsleuten fuhr ich mit einem Taxi in die Nähe der Grenze zwischen Libyen und Tunesien. Wieder wurden wir von Milizionären gefangen genommen, die an der Grenze kontrollierten. Wir verständigten uns, dass wir in einem unübersichtlichen Gelände abspringen wollten, denn das Fahrttempo war im Wüstensand nur gering. Als wir davon rannten, wurde einer meiner Begleiter, der ein verletztes Bein hatte, erschossen. Die Grenzsoldaten nahmen uns wieder mit, ließen uns aber nach einigen Stunden laufen, weil wir sagten, wir wollten nach Europa und nicht in Libyen bleiben.
Insgesamt hat Iman innerhalb von vier Jahren ungefähr 10.000 Kilometer zurückgelegt.
Illustration: Elena Buono
Endlich Europa
Schließlich kam ich doch nach Tunesien. Dort blieb ich drei Monate. Gelegentlich fand ich Arbeit, zum Beispiel half ich, Container abzuladen, um nicht zu verhungern. Mein Ziel war immer noch die Fahrt über das Meer nach Italien. Dazu musste ich nach Libyen zurückkehren.
Inzwischen hatte mein Bruder in Somalia mit großer Mühe 600 Dollar zusammen gebracht, damit ich eine Überfahrt bezahlen konnte. Ich suchte und fand eine weitere Gelegenheit, auf einem Schlauchboot das Meer zu überqueren. Diesmal war das Boot so voll, dass wir zum Teil während der Überfahrt stehen mussten. Nach langen Stunden nahm uns ein italienisches Schiff auf und brachte uns nach Sizilien. Insgesamt dauerte die Fahrt 24 Stunden. Aber das Wichtigste hatte ich erreicht: Ich lebte noch und war in Europa. Mein Ziel war Schweden, weil dort ein Bruder von mir lebt.
Ich schlief einige Nächte im Freien unter Brücken, hatte Hunger und nichts zu essen. Ein Landsmann half mir mit dem Zug von Bologna aus nach Deutschland zu gelangen. Im Zug gab mir ein Ehepaar aus Deutschland ein wenig Geld und Essen. Schließlich erreichte ich den Hauptbahnhof München. Dort erklärte mir ein Somalier, wie man zur Bayernkaserne kommen kann. Dort blieb ich vom Mai bis zu 15. Juni 2015. Schließlich wurde mir ein Platz in Ebersberg zugewiesen, wo ich darauf warte, dass mir Asyl gewährt wird.
Meine Flucht dauerte insgesamt zwei Jahre und kostete mich und meine Familie etwa 3000 Dollar. Zwei Monate verbrachte ich in Gefängnissen in Libyen.
Seit ich eine Berufsintegrationsschule besuchen kann, wird mir das Warten leichter. Ich komme sehr gerne dorthin, um zu lernen. Wenn ich den Schulbesuch erfolgreich abschließe, hoffe ich einen Ausbildungsplatz zu finden.
Im August hat mich übrigens mein Bruder aus Schweden besucht.