In den letzten Jahren habe ich viele verschiedene Erfahrungen in Deutschland gemacht. Ich kam 2013 in Deutschland an, und das erste Jahr in der Unterkunft in Freising war hart und langweilig. Ich habe nur gewartet und mir selber Deutsch beigebracht.

Nach einem Jahr konnte ich eine Deutsch- und Mathe-Prüfung bestehen. Ich sollte mir dann in München eine Arbeit suchen, aber das war schwer und ich war traurig. Ein junger Afghane erzählte mir von der SchlaU-Schule (Anm. d. Red.: Schule für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge in München). Es war mein Traum, wieder zur Schule gehen zu können. Ich ging sofort hin und durfte mich gleich vorstellen. Ich weiß es noch genau: Es war ein Mittwoch, ich war am Marienplatz, und da rief mich eine Lehrerin von der Schule an und sagte mir, dass ich die Einstufungsprüfung machen darf. Eine Woche später saß ich schon im Klassenzimmer der SchlaU-Schule und war so froh. Alles ging so schnell damals und war so positiv, dass ich am Anfang vor Glück nicht schlafen konnte. Nach dem ersten Jahr an der SchlaU-Schule bin ich zu Klartext e.V. (Anm. d. Red.: Münchner Verein für Sprachvermittlung) gegangen, habe dort weiter Deutsch gelernt, fing an zu arbeiten als Küchenhilfe in einem Café und hatte immer den Traum, hier in Deutschland eine Ausbildung zum Chemielaborant zu machen. Bei einem Praktikum der SchlaU-Schule lernte ich meinen zukünftigen Chef in Freising kennen. Er bot mir eine Lehrstelle zum Zahntechniker in seinem Dentallabor an. Auch wenn es nicht genau das war, was ich mir gewünscht hatte, und mir die Arbeit fremd war, wurde es immer interessanter. Ab September 2016 durfte ich ganztags dort arbeiten mit der Perspektive, im September 2017 dort die Lehre zu beginnen. Jeden Tag ging es mir besser, ich hatte einen tollen netten Chef, verdiente Geld, ich konnte viele Sachen machen wie Kino und Theater, begann für NeuLand zu schreiben, durfte umziehen in eine Unterkunft, wo ich ein einzelnes kleines Zimmer hatte, und hatte den Vertrag für die Lehre unterschrieben in der Tasche.
Illustration: Antje Krüger
Mit einer einzigen E-Mail ging es wieder bergab
Es ging nur aufwärts, und ich war mir einer guten Zukunft in Deutschland als Zahntechniker sicher. Am 25.5.2017 bekam ich eine E-Mail von meinem Anwalt. Darin schrieb er mir, dass ich eine Negativantwort vom BAMF erhalten habe und er dagegen klagt. Es war wie ein Pistolenschuss. Erst habe ich gar nichts gespürt, aber am Nachmittag hatte ich 1000 Gedanken im Kopf. Wenn ich zurück muss, dann lande ich entweder im Gefängnis oder werde von der Mafia umgebracht. Ich hatte so viele Pläne in Deutschland, und plötzlich war alles aus. Im Juli kam ein Brief von der Ausländerbehörde, in dem stand, dass ich meine Lehre in dem Dentallabor nicht antreten darf. Zum Glück war ich in der Arbeit und mein Chef da, und er hat mir gleich geholfen und mir Hoffnung gemacht. Trotzdem war ich sehr traurig und hatte große Angst, dass jetzt auch ich abgeschoben werde, so, wie ich es in den Nachrichten gehört hatte von anderen. Der nächste Schlag kam gleich danach von der Ausländerbehörde, dass ich 20 Kilometer wegziehen musste von Freising, in ein kleines Zimmer in einem Flüchtlingswohnheim, wo es nur einmal am Tag einen Bus gab. Ich hatte mich schon so gefreut, eine eigene Wohnung irgendwann zu haben, wenn ich Geld verdiene, und hatte sogar schon eine geschenkte Küche, aber das war jetzt plötzlich alles ganz weit weg. Es hörte nicht auf mit den schlechten Nachrichten. Wieder schickte die Ausländerbehörde einen Brief, diesmal mit dem Inhalt, dass ich nicht weiter bei meinem Chef arbeiten darf, wenn ich meinen afghanischen Ausweis nicht beglaubigen lasse. Ich musste mir für 25.000 Afghani (500 Euro) einen Anwalt in Kabul nehmen, der meinen Ausweis dort vor Ort vom Innen- und Außenministerium stempeln lässt und mir wieder zurückschickt. Bis heute ist mein Ausweis in Kabul nie angekommen. Für Geld bekommt man in Afghanistan alles, also muss ich wohl irgendwann viel Geld für einen neuen Ausweis bezahlen. Tatsache ist, ich durfte in dem Dentallabor nicht länger arbeiten. Der 31. August war mein letzter Arbeitstag.
„Hoffentlich…”
Ich musste mich von meinen neuen Freunden verabschieden und von meinen Träumen. Es war sehr traurig, und als ich rausging, musste ich weinen. Noch am gleichen Tag rief mich die Sozialhilfe an, dass ich sofort mein Zimmer räumen muss und ich Hausverbot habe. Ich musste wieder umziehen. Diesmal war das neue Zimmer noch weiter weg – eine Stunde zu Fuß zum nächsten Bahnhof und dann eine Stunde mit der Bahn nach München, wo ich jetzt in einem Café arbeite. Seitdem musste ich vier Hosen, zwei Hemden und T-Shirts wegwerfen, weil Mäuse in meinem Zimmer leben, die alles anfressen. Sie essen auch meine Nudeln, Kartoffeln, Linsen und Bohnen. Alles musste ich wegwerfen. Sogar meinen türkisfarbenen Flohmarkt-Teppich haben sie angenagt. Als Kind in Afghanistan hatte ich schon Angst vor Mäusen, und wenn ich sie jetzt in meinem Zimmer sehe, kann ich nicht schlafen. Und wenn ich schlafe, kommen die Flöhe und stechen in meine Arme und Beine. Das juckt schrecklich und sieht auch nicht schön aus. Hoffentlich kümmert sich bald jemand darum. Mein ehemaliger Chef vom Dentallabor hatte mich aufs Oktoberfest in Nandlstadt eingeladen. Da war ich zum ersten Mal seit meinem Weggehen wieder in meiner alten Arbeitsstelle – ich würde sofort alles stehen und liegen lassen und dort wieder arbeiten, wenn ich eine Arbeitserlaubnis bekommen würde. In Afghanistan sagt man „Inshallah“ – hoffentlich…!