Letzte Anhörung vom BAMF

Meine Familie ist das Wichtigste für mich

In meinem Kopf ist im Moment so viel Stress. Den ganzen Tag denke ich daran, wie es weiter geht mit mir und meiner Ausbildung. Ab 1. September habe ich eine Lehrstelle. Den Vertrag habe ich am 18.11.2016 abgeschlossen. Damals hat die Ausländerbehörde gesagt, alles ist ok. Seit September 2016 arbeite ich schon in dem Dentallabor, wo ich meine Lehre machen will und hoffentlich werde. Alles läuft super dort, ich habe hier so viel gelernt und weiß genau, was ich in der Ausbildung machen muss. Ich habe mich sehr auf die Lehre gefreut. Mein Chef hat gesagt, er findet niemand Anderen für diese Stelle. Alles war gut. Bis zum 31. Mai 2017. An diesem Tag habe ich von der Ausländerbehörde plötzlich einen Brief bekommen, dass mir die Ausbildungserlaubnis nicht erteilt wird, weil bei meinem afghanischen Ausweis ein Stempel des afghanischen Außenministeriums fehlt. Diesen Stempel sollte ich jetzt auf einmal in vier Wochen in Afghanistan besorgen, aber das geht nicht, weil meine Eltern mich in Afghanistan für tot erklärt haben, um mich vor meinen Verfolgern zu schützen. Ich habe ihnen mein Abiturzeugnis gegeben, auf dem dieser Stempel drauf ist. Aber das hat sie nicht interessiert. Ich weiß gar nicht mehr, was ich machen soll. Mein Chef hat überall telefoniert, die SchlaU-Schule, wo ich war, und NeuLand haben mir geholfen, aber ob das reicht? Ich verstehe überhaupt nicht, warum ich nach 3,5 Jahren in Bayern jetzt die Ausbildung hier nicht anfangen darf.

Illustration: Antje Krüger

Albträume von Afghanistan

Noch dazu musste ich wegen des negativen Bescheides umziehen und wohne jetzt 47 Kilometer von meiner Arbeitsstelle weg in einem Asylheim mit vier anderen im Zimmer. Im Moment denke ich, ich habe gar keine Zukunft mehr. Ohne Ausbildung werde ich hier nie eine Arbeit finden. Ich habe hier in Deutschland nur eine Chance: Ich muss nochmal zum Gericht gehen und warten, was sie entscheiden. Wenn sie nochmal gegen mich entscheiden, dann muss ich zurück nach Afghanistan. Davor habe ich am meisten Angst. Überall wird mich die Mafia finden, wegen der ich geflüchtet bin, und mich totschlagen. Und meine Familie wird große Probleme bekommen. Das Wichtigste für mich ist meine Familie, dass sie in Ruhe leben kann. Eher würde ich in Deutschland sterben wollen, als zurück nach Afghanistan zu gehen und sie damit in Gefahr bringen. In der Nacht schlafe ich nur noch drei bis vier Stunden. Dann habe ich Albträume von Afghanistan. Das ist schrecklich, dann stehe ich auf und gehe draußen in der Nacht spazieren. Tagsüber bin ich müde, und tagsüber ist alles schwer: Beim Lesen im Bus schlafe ich ein und die feine Arbeit im Labor ist momentan so anstrengend, dass ich schon neben der Fräse auf dem Tisch eingeschlafen bin. Hoffentlich ist das nicht mein letzter Artikel für NeuLand und ich kann hierbleiben und arbeiten!

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Raphael Müller-Hotop

Ich heiße Raphael Müller-Hotop, bin Psychologe und war von Oktober 2014 bis August 2019 stellvertretender Vorstandsvorsitzender des NeuLand e.V.. Es begeistert mich jedes Mal aufs Neue das Engagement der AutorInnen und Ehrenamtlichen mitzuerleben und gemeinsam mit so vielen Menschen aus verschiedenen Kulturen dieses verbindende Projekt mitzugestalten. Was mir an NeuLand außerdem besonders gefällt ist der Austausch mit den AutorInnen und unser Ziel, durch die Vermittlung eines breiten Spektrums an Perspektiven Verstehen, Kennenlernen und Dialog zu fördern.