Seit mehr als 20 Jahren lebe ich in verschiedenen europäischen Ländern. Mich haben die verschiedenen kulturellen und sozialen Aspekte fasziniert, die ganz anders waren, als ich sie aus meiner Kindheit in Ungarn unter dem sozialistischen Regime kannte. Mit meinem Hintergrund und den persönlichen Erfahrungen als Immigrant habe ich mich immer besonders für das Verhältnis zwischen persönlicher Identität, kulturellem Hintergrund und Integration interessiert. 1998 ging ich für das Kunststudium von Ungarn nach Wien und dann im Jahr 2000 nach Venedig. Ohne Stipendium, ohne Bafög, ohne Visum war ich statt Kunst zu machen ständig mit Schlange stehen in Behörden und Ämtern wegen der Papiere und Stempel beschäftigt. Die endlosen Wartereien und Gängelungen brachten mich auf die Idee, diese verlorene Zeit zu Kunst zu verarbeiten.
So entstanden ab 2007 bis heute die sechs Arbeiten “time lost”, in denen ich hyperrealistisch meine Dokumente und Ausweispapiere, Strichcodes und Stempel zu sticken begann. Ungefähr ein Jahr pro Stück habe ich bis heute daran gearbeitet. In dieser meditativen Arbeit spiegelt sich mein Leben als Immigrantin, mein Kampf mit Behörden, Rechtlosigkeit und Geldnot ohne Arbeitserlaubnis. Sowohl in dieser Arbeit des Stickens, als auch bei den Behörden geht es um absolute Genauigkeit. Alles muss immer 100 Prozent genau stimmen. Am Anfang war es auch ein Kampf mit dem Material, denn ich konnte gar nicht sticken, und so floss auch gelegentlich Blut.

Time Lost Nr.IV. (Series), 2015. Hand embroidery on fabric textil, colored filet sillk. Framed: 70 x 60 cm / Foto: Marek Kryzanek

Windless, Variations for the Eu Flag Nr.1., 2016 „installation“300 cm x 200 cm „wall painting: colour Pantone Reflex Blue , RGB: 0/51/153; 12 kitchen knives / Foto: Vladimir Pavic

Obwohl ich seit 2011 alle Rechte als EU-Bürgerin habe, sticke ich weiter, denn immer noch gibt es Schwierigkeiten bei der Einreise aus Nicht-EU-Ländern, zuletzt nach einer Ausstellung in Marokko. Die Angst vor Problemen bleibt. Viele andere meiner Arbeiten behandeln auch das Thema Migration, Nomadentum, die EU als Ziel von Migration und „Nicht-Willkommensland“. Seit 20 Jahren beschäftige ich mich mit diesen Themen, weil es meine sind. So werden diese Arbeiten auch zu politischen Botschaften und leider aktuellen Beiträgen. Wenn ich zurückdenke, habe ich nicht wegen finanzieller Verlockungen meine Heimat verlassen, sondern weil ich studieren wollte und eine Perspektive haben wollte.

Time Lost Nr.I. (Series), 2007. Hand embroidery on fabric textil, colored filet sillk. Framed: 70 x 60 cm installation view, Hartware MedienKunstverein, Dortmund, 2010 / Foto: Tímea Anita Oravecz
Ich glaube nicht, dass die Flüchtlinge wegen der Sozialhilfe kommen. Das unterstellt man ihnen oft. Sie suchen Sicherheit, Arbeit, Chancen, eine Ausbildung. Es ist doch ein Paradox, dass man diese vielen jungen Menschen nicht arbeiten lässt, dass sie jahrelang in Wohnheimen bleiben müssen ohne Beschäftigung, Perspektive und persönlichen Freiraum. Ich lebe seit 2008 in Berlin. In Kreuzberg habe ich Flüchtlinge gesehen, die dort aus Protest gegen ihre Situation – nur geduldet zu sein und kein neues Leben beginnen zu können – eineinhalb Jahre in Zelten auf der Straße campierten, auch im Winter. Sie machten sich und ihre Lage sichtbar. So viel verlorene Zeit!