Kunst kommt nach Deutschland – „Sieben Geschichten wie Romeo & Julia“

Saad Aljafry (20) ist 2015 aus dem Irak nach Deutschland geflohen und befindet sich inzwischen im letzten Ausbildungsjahr zum Elektriker. Außerdem ist er bei der Freiwilligen Feuerwehr und spielt Theater. NeuLand hat nach einem seiner Auftritte als „Romeo“ mit ihm gesprochen.

NeuLand: Hallo Saad! Du bist ein Jeside aus dem Nordirak, stimmt das? Kannst du uns mehr über eure Religion erzählen?

Saad: Ja, aber leider weiß ich das nicht so ganz genau, da ich meine Eltern nie Beten gesehen habe. Ich sage immer unsere Religion symbolisiert die Welt oder die Wissenschaft. Die Astronomie sozusagen, da wir uns sehr viel mit den Sternen, der Sonne und dem Mond beschäftigen. Aber bei uns wird die Religion generell nicht so streng genommen. Von uns gibt es ca. nur noch 1 Million aufgrund der Verfolgung durch den IS, früher waren wir etwa 71 Millionen.

Welche Rolle hat das Theaterspielen im Irak?

Ehrlich gesagt habe ich im Irak nie Theater gespielt und ich habe auch nie gehört, dass in meiner Stadt Theater gespielt wurde, nur in großen Städten. Ich habe in einer Stadt gelebt, die in etwa so groß ist wie Freising. Dort gab es nur die Schule und Fußball, sonst nichts.

Also hast du erst hier zum Theaterspielen angefangen?

Ja. Ich wohne im Jugendwerk Birkeneck in Hallbergmoos. Thomas George, der Regisseur von „Romeo & Julia“, hat uns eine E-Mail geschickt und ich habe aus Neugier sofort mitgemacht. Theater ist für mich etwas, das Spaß macht und wobei ich Menschen kennenlerne. Und natürlich, wobei ich mein Deutsch verbessern kann. Seitdem mache ich das, seit etwa zwei Jahren. Bei diesem Theaterstück ist auch meine Zwillingsschwester und mein Cousin dabei. Das ist sehr schön, da ich sie sonst nicht so oft sehe.

Gibt es eine ähnliche Geschichte wie „Romeo & Julia“ im Irak?

Ja, es gibt sieben ähnliche Geschichten wie Romeo und Julia. Romeo und Julia haben sich an einem Brunnen verliebt. Im Himmel sind sie zu zwei Sternen geworden, die sich im Jahr einmal treffen. Bei uns sagt man, wenn sie sich getroffen haben, muss man sich etwas wünschen und dann geht das in Erfüllung.

Das ist eine sehr schöne Geschichte. Wie war es für dich, das erste Mal auf der Bühne zu stehen?

Am Anfang hatte ich immer Angst Deutsch zu sprechen, ich wollte keine Fehler machen. Beim ersten Mal auf der Bühne hatte ich natürlich auch Angst, aber das ist mit der Zeit besser geworden. Ich lerne auch meine Texte immer auswendig und spreche frei, das finde ich schöner. Es ist gut, wenn man das kann, das hilft auch in der Schule.

Aber dein Deutsch ist sehr gut.

Für jetzt reicht es, ich mache eine Ausbildung zum Elektriker. Aber wenn ich mich weiter qualifizieren möchte, z.B. mein Abitur nachholen, muss ich besser Deutsch können.

„Romeo & Julia“ – ein Theater-Projekt des udei e.V.
 Foto: Martin Rentz

Ich habe auch gehört, dass du bei der Feuerwehr bist. Wie kam denn das?

In meiner Stadt im Irak gab es ca. 43.000 Einwohner und es gab keine Feuerwehr, auch keine Freiwillige. Wenn es gebrannt hat, musste die Feuerwehr aus einer größeren Stadt kommen. Bis sie da waren, war es schon zu spät. Auch bei meiner Flucht fand ich es sehr berührend, als mir andere Menschen geholfen haben, z.B. vom Roten Kreuz. Erst wenn man selbst in einer Notlage ist, z.B. den Krieg gesehen hat, macht es „klick“ und man merkt, dass das etwas sehr Besonderes ist. Ich bin bei der Feuerwehr, da ich nun auch anderen Menschen helfen möchte, so wie mir geholfen wurde.

Stimmt es, dass du einen Roller geschenkt bekommen hast für deine Einsätze?

Ja. Ich wohne ca. 2,5 km entfernt von der Feuerwehrstation. Wenn ich mit dem Fahrrad gefahren bin, waren sie immer schon weg, als ich ankam. Des- halb hat mir die Feuerwehr völlig überraschend als Weihnachtsgeschenk den Führer- schein geschenkt. Ich habe so- wohl die Theorie- als auch die Praxisprüfung sofort bestanden. Die Versicherung für ein Auto konnte ich nicht zahlen, deshalb wünschte ich mir einen Elektroroller. Vor 2 Jahren haben wir den Tassilo-Preis gewonnen, da wir so gut Theater gespielt haben. Daraufhin hat die Süddeutsche Zeitung mir ihre Unterstützung angeboten, die einen Zuschuss zum Roller gegeben haben.

Du bist auch bei der Volkssternwarte München. Was machst du hier genau?

Hier helfe ich manchmal bei arabischen Führungen aus. Bald fange ich aber auch mit Führungen auf Deutsch an. Vom Theater her bin ich das gewohnt. Im Irak habe ich oft draußen geschlafen und in den Himmel geschaut. Das war sehr schön. Man konnte sogar die Andromedagalaxie mit bloßem Auge sehen. In der Schule habe ich immer die Lehrer gefragt, wie viele Planeten es gibt, wie sie entstehen, und was die Rolle des Menschen in dem Ganzen ist. Sie konnten mir das nie ausreichend beantworten und meinten einfach, das hätte Gott gemacht. In Deutschland habe ich mich dann erkundigt, wo ich mehr über Astronomie erfahren kann.

Vielen Dank für das Gespräch, Saad, und alles Gute für die Zukunft!

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Raphael Müller-Hotop

Ich heiße Raphael Müller-Hotop, bin Psychologe und war von Oktober 2014 bis August 2019 stellvertretender Vorstandsvorsitzender des NeuLand e.V.. Es begeistert mich jedes Mal aufs Neue das Engagement der AutorInnen und Ehrenamtlichen mitzuerleben und gemeinsam mit so vielen Menschen aus verschiedenen Kulturen dieses verbindende Projekt mitzugestalten. Was mir an NeuLand außerdem besonders gefällt ist der Austausch mit den AutorInnen und unser Ziel, durch die Vermittlung eines breiten Spektrums an Perspektiven Verstehen, Kennenlernen und Dialog zu fördern.