Kunst kommt nach Deutschland – Mauerbilder

Mit dem Namen „Bagdad“ assoziierte man noch vor nicht langer Zeit die morgenländische Atmosphäre voller Düfte und Aromen der Geschichten von „Tausend und einer Nacht“. Oder verband ihn mit Mesopotamien, dem „Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris“, als Wiege verschiedener Wissenskulturen, in der sich die Mathematik, Astronomie, Medizin und die Linguistik entwickelten. Diese Perspektive hat sich in den letzten zwanzig Jahren drastisch geändert. Zwei Golfkriege und deren Folgen für die Weltordnung haben unsere „westliche“ Wahrnehmung tiefgreifend beeinflusst. In Bagdad (Irak) bin ich geboren und dort habe ich die Schule für Kunst und Graphik besucht, anschließend machte ich ein Kunststudium in Malerei an der Kunstakademie. Danach hatte ich eine Lehrtätigkeit an der Schule für Kunst und Graphik in Bagdad. In meiner Kindheit habe ich immer in meine Hausaufgabenhefte gemalt. Meine Mutter war immer dagegen, aber mein Vater hat mich total unterstützt und immer daran geglaubt, dass ich vielleicht eine Künstlerin werde. Mein Name „Iman“ bedeutet „Glaube“. Der Glaube von meinem Vater wurde wahr – heute bin ich die erste und bisher einzige Künstlerin in der Familie. Darauf bin ich stolz. 

Die Geheimnisse der Linie 1 (Acrylfarbe auf Leinwand, 100 x 160cm 2017)

Nach einem Jahr hier in Deutschland kam im Jahr 2000 eine irakische Galeristin auf mich zu, die in London wohnt, und lud mich zur Teilnahme an einer arabischen Kalligrafie-Ausstellung ein. In meiner Heimat kann man auch klassische arabische Kalligrafie studieren, aber ich hatte Kunst und Malerei studiert. So begann ich für die Ausstellung mit meinen ersten kalligrafischen Bildern. Das Britische Museum kaufte ein Bild von mir, und das öffnete eine große Tür für Kunst und Kalligrafie für mich. Deswegen beschäftige ich mich seit Jahren hier in Deutschland mit Kalligrafie arabischen Ursprungs. 

Meine „Mauerbilder“, wie ich sie nenne, sind Ausdruck des ständigen Wandels, so wie ein Stück Mauer, eine alte Wand, die Geschichten erzählt und dauernder Erneuerung unterworfen ist. Wenn ich die Wand berühre, bin ich auf magische Weise verbunden mit dem Geschehen in vergangener Zeit und mit den Menschen, die dort ihre Spuren hinterlassen haben. Diese alten Mauern sind Ausdruck von Werden und Vergehen, von Tod und Wiedergeburt, Zerstörung und Wiederaufbau, Krieg und Frieden.

Die Geheimnisse der Linie 2 (Acrylfarbe auf Leinwand 100 x 160 cm)

Reflexionen über mein Leben

Meine Bilder leben vom magischen Geist der Schriftzeichen. Meine Bilder sind geprägt von meiner persönlichen Geschichte. Aber sie sind auch Reflexionen über das Leben der arabischen Frauen. Seit Jahren beschäftige ich mich mit arabischer Schrift und Kalligrafie, und ich verwende sie als gestaltende Elemente in meinen Bildern. Das erlaubt mir, meine Gefühle auszudrücken, als Frau, die noch gefangen ist zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen östlicher und westlicher Kultur.

Eine Offenbarung, Schicht für Schicht

Wenn die Wand wieder und wieder übermalt wird, ist sie Schicht für Schicht Dokument der Vergangenheit. In einer verwitterten Wand treten alle diese Schichten zu Tage und offenbaren damit ihre Geschichte. Sie wissen es vielleicht: Die Schrift, das Zeichen, spielt in der Kunst des Islam eine große Rolle. Denn der Islam verbietet die direkte Abbildung von Menschen und Gesichtern und setzt sich über die realistischen Perspektiven hinweg. Er kultiviert stattdessen Bedeutungsebenen, das Ornament und die Schrift – mit größter Eleganz, Leichtigkeit und oft geradezu mathematischer Präzision. Immer verwende ich arabische Schriftzeichen. Bei den Texten handelt es sich um Kompositionen von Wortfragmenten, denen mystische Bedeutung zugeschrieben wird, ähnlich den Endlostexten, die mit Rollsiegeln in Mesopotamien erzeugt wurden. Die Rollsiegel enthielten umlaufende Inschriften oder Motive. Auf weichem Ton abgerollt ergaben sie ein fortlaufendes Band desselben Motivs bzw. Texts. Strukturen und Kalligrafie sind unbeschränkt und bieten viele gestalterische Möglichkeiten.

Frau mit kalligraphischen arabischen Schriftzeichen (Tusche auf Papier, 70 x 100cm 2014)

Iman Mahmuds Ausstellung “LANGUAGE OF THE SOUL” war vom 15.09. bis 3.11. in der Haleh Gallery in Berg am Starnberger See zu sehen.

Kontakt: imanmahmud@yahoo.de, www.iman-abdullah-mahmud.com

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Raphael Müller-Hotop

Ich heiße Raphael Müller-Hotop, bin Psychologe und war von Oktober 2014 bis August 2019 stellvertretender Vorstandsvorsitzender des NeuLand e.V.. Es begeistert mich jedes Mal aufs Neue das Engagement der AutorInnen und Ehrenamtlichen mitzuerleben und gemeinsam mit so vielen Menschen aus verschiedenen Kulturen dieses verbindende Projekt mitzugestalten. Was mir an NeuLand außerdem besonders gefällt ist der Austausch mit den AutorInnen und unser Ziel, durch die Vermittlung eines breiten Spektrums an Perspektiven Verstehen, Kennenlernen und Dialog zu fördern.