„Ich fühlte mich wie ein Star.“

Interview mit NeuLand-Autor Samh Yousef

Eine Hauptmotivation, NeuLand ins Leben zu rufen, war die reine Neugier. Wir wollten unter anderem wissen, was Geflüchtete und Migranten über Deutschland, die Menschen hier und ihr neues Leben denken. Und das findet man am besten im Gespräch heraus.

In jeder neuen Edition sprechen wir mit einer AutorIn, die schon einmal für NeuLand geschrieben hat. Seit wir Samh Yousef für die Zeitung gewinnen konnten, hat er in jeder Ausgabe einen Text veröffentlicht.

Hallo Samh, wie geht es Dir?

Mir geht es sehr gut, danke!

Du studierst seit einem Jahr Deutsch als Fremdsprache an der LMU, aber Du bist auch nebenbei Musiker und trittst als Sänger arabischer Musik auf. Wie wichtig ist Musik für Dich?

Musik ist für mich eine Art Heimat. Es ist irgendwie an- geboren bei mir. Seit meiner Kindheit mag ich Musik und ich höre Musik. Als Kind bin ich in Damaskus in die Moschee gegangen. Da habe ich die Grundlagen fürs Singen gelernt.

Ich wollte schon immer Sänger werden und auf die Bühne gehen – das mag ich. Aber mein Vater war dagegen und es gab oft Streit. Er hat gesagt, damit verdiene ich kein Geld, ich soll ja was Gescheites machen. Also habe ich heimlich gelernt und meine Mutter hat mir geholfen: Sie hat mir eine DVD gekauft und ich habe akustisch gelernt, nicht bei einem Lehrer. Mit 16 oder 17 Jahren habe ich Auftritte gegeben, aber heimlich. Ich hatte nicht die Möglichkeit, zu einer Sendung wie „The Voice“ oder „Superstar“ zu gehen. Aber das war immer mein Traum.

Deswegen wolltest du unbedingt mitmachen, als Du hier in Deutschland von der Sendung „Deutschland Sucht den Superstar“ gehört hast?

Es war zufällig. Oder es war Schicksal: Eines Abends am Jahresanfang war ich traurig und habe bei Instagram nach meinen Freunden geschaut. Dazwischen war ein Werbespot von DSDS mit Dieter Bohlen, der sagte: “Willst Du Superstar werden? Dann bewirb dich!”. Ich habe sofort darauf geklickt und mir gesagt: “Da mache ich mit!”. Ich habe meinen Namen eingetragen und musste ein Video von mir hochladen, wie ich singe.

Ich habe mir gesagt, ich manche es nur aus Spaß und werde bestimmt keine Einladung bekommen. Aber nach ein paar Tagen bekam ich eine Email: “Hallo, herzlich willkommen, du bist zum City Casting in München eingeladen”. Ich sollte drei Lieder vorbereiten und alle Arten von Musik wären akzeptabel. Für mich war das leichter, weil ich kein deutsches oder englisches Lied vorbereiten musste. Also habe ich drei arabische Lieder vorbereitet: ein Lied mit meiner Trommel, ein Bauchtanzlied und das Habibi-Lied. Ich habe mich schick gemacht und bin zum Casting in der Arnulfstraße gegangen. Es waren viele Leute da und ich habe zuerst nicht geglaubt, dass es ernst ist, dass ich für diesen Wettbewerb da bin, dass ich da stehe. Wirklich, das war unfassbar, ich kann das nicht beschreiben. Aber ich war sehr glücklich. Im Warteraum gab es Leute mit tollen Stimmen, die sehr gut ausgebildet waren. Ich habe gedacht, ich habe keine Chance, ich komme nicht weiter. Und weil ich arabisch singe.

Ich fühlte mich wie ein Star

Ganz ohne Lampenfieber geht es nicht: Samh Yousef bei seinem Casting in Hamburg. Foto: Privat

Wie ist das erste Casting ausgegangen?

Es war sehr spannend. In der Jury waren Personen von RTL, von der Musikproduktion, und Fachleute, die sich mit Musik auskennen. Ich war wirklich sehr nervös. Aber ich habe es nicht zu ernst genommen. Ich dachte, das ist ein Spiel, ich komme sowieso nicht weiter. Nachdem ich meine drei Lieder gesungen habe, haben sie gesagt: “Du bist sehr interessant, du hast was, aber es ist schwierig, wir müssen es besprechen — du gehst erst mal nach Hause”. Ich war die einzige Person, die nach Hause gehen musste, ohne Bescheid zu bekommen. Die anderen .bekamen entweder ein „ja“ oder „nein“.

Ich musste vier Wochen warten – ich war am Sterben. Ich dachte, sie wollten, dass ich das Thema vergesse, damit sie mich nicht verletzen. Dann bekam ich einen Anruf: “Hallo, hier ist DSDS, bist Du Samh? Herzlichen Glückwunsch, du kommst weiter. Wir schicken Dir die Unterlagen, damit Du nach Hamburg kommst.” Das konnte ich wirklich nicht glauben, es war der glücklichste Moment in meinem Leben. An diesem Tag habe ich vier oder fünf weitere Anrufe bekommen. Von der Musikproduktion, von der Garderobe, vom Hotel – ich fühlte mich wie ein Star!

Und dann bin ich nach Hamburg gefahren. Es war herrlich am Hafen, am Wasser. Das war nun das Casting, das im Fern- sehen gezeigt wird. Es gab viele Leute und Kameras. Als ich zur Jury reingegangen bin, saßen da Pietro Lombardi, Dieter Bohlen, Xavier (Naidoo) und Oana (Nechiti). Ich habe sofort zum Trommeln angefangen und habe auch den Bauchtanz gemacht — es war sehr lustig. Ich habe gelacht. Sie waren begeistert.

Hast Du es in dieser Phase noch immer so locker nehmen können?

Nein, jetzt habe ich es ernst genommen. Aber als ich zum Singen angefangen habe war ich nicht mehr nervös. Es war alles groß, ich nahm alles so richtig wahr. Viele Dinge auf einmal – Kameras, Monitore, Publikum, Jury – es war beeindruckend. Die Anlage, die sie hatten, war so gut, meine Stimme klang wirklich anders. Das war so cool. Ich bin leider nicht weiter gekommen aber ich bin nicht traurig. Dieses Erlebnis war das glücklichste das ich jemals hatte.

Was hast Du gedacht als alles vorbei war?

Ich hatte das Gefühl, wenn man irgendwas will, kann man es erreichen. Davor haben mich alle ausgelacht: „Warum willst Du da singen? Du schaffst es nicht, du gehst nie zum Superstar!“ Aber ich zeigte, wenn man was will, kann man es er- reichen. Man braucht nur seine eigene Initiative.

Dein Casting wird in Januar im Fernsehen ausgestrahlt. Freust Du Dich, die Sendung anzuschauen?

Ja, ich möchte sie mit meinen Freunden im Café anschauen und darüber lachen.

Das war dann bestimmt DAS Highlight für Dich dieses Jahr, oder?

Ich hatte aber noch ein High- light: Vor kurzem habe ich eine schöne Nachricht bekommen, dass ich den DAAD-Preis er- halten habe. Der Preis ist für ausländische Studenten, die sehr engagiert in der Gesellschaft sind. Man muss zwei Semester an der Uni studiert und sie mit guten Noten absolviert haben. Meine DaF-Dozentin (Deutsch als Fremdsprache) hat mich dafür nominiert. Die Verleihung wird in der großen Aula gefeiert. Der Präsident von der Uni kommt und hält eine Rede und ich muss auch eine Rede halten.

Nun, eine Rede halten wird für Dich jetzt bestimmt leicht sein nach deinem Auftritt im Fernsehen…

Noch schwerer! Ich finde das schwerer, wegen des Live-Publikums. Dieses Publikum ist anders, es ist gebildet, ich muss darauf achten wie ich rede, auf meine Grammatik. Ja klar, das Publikum achtet nicht darauf, aber ich will zeigen, welche Kompetenzen ich in dieser Sprache habe. Dass ich mich in dieser Sprache fließend ausdrücken kann.

Findest Du es wichtig die Sprache gut zu können, um in der Gesellschaft akzeptiert zu werden?

Weißt Du, ein Stück von Heimat ist immer respektiert werden, wenn ich die Sprache kann. Aber es ist nicht unbedingt so, dass wenn man die Sprache kann, dass es dann deine Heimat ist, aber ein Stück von Heimat. Wenn ich die Sprache beherrsche, habe ich ein gewisses Gespür dafür was Heimat bedeutet.

Bedeutet das also, dass Du Dich hier in Deutschland mittlerweile zu Hause fühlst oder sehnst Du Dich nach Syrien zurück?

Wenn mich die Deutschen fragen, ob ich hier bleiben oder nach Syrien zurückkehren will, da weiß ich nicht so eine Antwort darauf. Ich bin in Damaskus geboren, meine Familie ist dort, dort habe ich die erste Liebe getroffen, an der Uni studiert. Aber trotzdem habe ich dort nicht das Gefühl von Respekt gespürt, weil ich von Syrern diskriminiert wurde. Ich bin nämlich halb-Syrer, halb-Palästinenser, weil mein Vater aus Palästina kommt. Deswegen sage ich, wenn uns die Deutschen diskriminieren, ist es normal, weil wir uns als Araber auch gegenseitig diskriminieren können. Also, wenn uns jemand fragt, “Wieso seid ihr hier?” und wir uns diskriminiert fühlen, müssen wir immer reflektieren und uns fragen, “OK, wie verhalte ich mich anderen Leuten gegenüber?”

In den letzten vier Jahren hast Du viel geschafft. Du hast die Sprache gelernt, eine Wohnung gefunden und einen Studienplatz bekommen. Wie schwierig war die erste Zeit in Deutschland nach deiner Flucht rückblickend?

Das erste Jahr verbrachte ich in der Unterkunft, wo ich auf meine Anerkennung gewartet habe. Das war schwer. Es hat mir am Anfang viel Kraft und viele Tränen gekostet. Aber wenn man zurückschaut und begreift, wie man sich entwickelt hat, merkt man was man erreicht hat. Aber ich merke nicht immer diese Entwicklung, weil ich an mich hohe Erwartungen habe.

Deswegen freue ich mich über dieses Jahr: Dass ich es geschafft habe, von Null auf Hundert zu kommen. Dieses Jahr ist voll! Voller Erlebnisse. Obwohl ich am Anfang des Jahres traurig war. Aber dann ging alles wieder aufwärts – wie das Leben, immer ab und auf.

Du schreibst seit 2 Jahren für NeuLand — wie kamst Du dazu und was bedeutet für Dich die Zusammenarbeit?

Es war Zufall, dass ich davon gehört habe. Wobei ich nicht an Zufall glaube — alles kommt zum richtigen Zeitpunkt. Es war so, ich war zum Singen in einem Café eingeladen. Im Publikum waren die Leute von NeuLand. Nachdem ich gesungen habe, hat mich Caro von NeuLand angesprochen und gefragt, ob ich Lust hätte, für NeuLand zu schreiben. Sie hat mich zur Lesung in den Kammerspielen eingeladen, um das Projekt besser kennenzulernen. Ich bin hingegangen und fand es so familiär, nett und authentisch. Ich mag gerne schreiben und ich wollte meine Gefühle ausdrücken, deswegen habe ich beschlossen mitzumachen.

Ich begann zu schreiben und es war wirklich schön. Ich habe meinen ersten Text bei einer Lesung vorgetragen. Da habe ich mich wirklich gefühlt: „Ich bin da, ich existiere in dieser Gesellschaft, jemand hört mich, ich stehe auf der Bühne und es gibt Leute, die mich unterstützen“.

Kann im nächsten Jahr noch etwas Besseres kommen nach den tollen Ereignissen in diesem Jahr?

Ich bewerbe mich für The Voice of Germany!

Dann wünsche ich Dir viel Erfolg und weiterhin viel Spaß mit deiner Musik!

Artikel teilen?

Facebook
Twitter
WhatsApp
Pinterest

Raphael Müller-Hotop

Ich heiße Raphael Müller-Hotop, bin Psychologe und war von Oktober 2014 bis August 2019 stellvertretender Vorstandsvorsitzender des NeuLand e.V.. Es begeistert mich jedes Mal aufs Neue das Engagement der AutorInnen und Ehrenamtlichen mitzuerleben und gemeinsam mit so vielen Menschen aus verschiedenen Kulturen dieses verbindende Projekt mitzugestalten. Was mir an NeuLand außerdem besonders gefällt ist der Austausch mit den AutorInnen und unser Ziel, durch die Vermittlung eines breiten Spektrums an Perspektiven Verstehen, Kennenlernen und Dialog zu fördern.