Hier ist alles grün

und bei uns alles so ähnlich wie auf dem Planeten Mars

Wir, die Zwillingsgeschwister Saada und Saad Aljafry, mussten leider schon sehr jung unsere Familie, unsere Freunde und unsere Heimat im Nordirak um die Stadt Sindschar verlassen. Wir gehören der Volksgruppe der Jesiden an. Im August 2014 begann der grausame Völkermord an unserer Volksgruppe und die Vertreibung aus unserer Heimat durch den IS. Wir sind jetzt 22 Jahre alt und wohnen seit fünf Jahren in Deutschland. Am Anfang kannten wir niemanden – es war irgendwie alles sehr schwierig und fremd. Vor allem wussten wir zunächst auch nicht, wem wir vertrauen konnten. So wirklich wohl gefühlt haben wir uns zunächst nicht.

»Es war hier alles fremd, die Sprache, die Kultur, das Wetter und das Aussehen der Natur in Europa.«

Es war hier alles fremd, die Sprache, die Kultur, das Wetter und das Aussehen der Natur in Europa. Hier ist alles Grün und bei uns alles so ähnlich wie auf dem Planeten Mars.
Überwogen hat aber das Gefühl, dass hier Frieden herrscht und wir in Sicherheit sind.
Da wir die Sprache nicht sprechen konnten und keine Freunde hier hatten, fühlten wir uns auch ausgeschlossen. Klar, wir haben hier eine Unterkunft gekriegt und im Warmen etwas zum Essen gehabt. Von staatlicher Hilfe zu leben ohne selbst etwas beitragen zu können war irgendwie doch kein schönes Gefühl – man fühlt sich wertlos.

Jetzt sind fünf Jahre vergangen!

Saada ist seit Juli mit Ihrer Ausbildung als Zahnmedizinische Fachangestellte fertig und ich habe
im März meine Ausbildung als Elektriker erfolgreich abgeschlossen. Wir sind froh und dankbar, dass wir beide die Chance für eine Berufsausbildung bekommen haben und diese erfolgreich abschließen konnten. Auch weiterhin stehen uns jetzt alle Wege offen.
Wir sind glücklich, dass wir jetzt auf eigenen Beinen stehen können und nicht vom Staat leben müssen – wir fühlen uns nicht mehr wertlos! Der Schlüssel dafür ist natürlich auch, dass wir jetzt die deutsche Sprache sprechen und somit gerne und ohne Hemmungen und Angst am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Wir fühlen uns mittlerweile genauso wertvoll wie die »anderen«. Für unser Selbstwertgefühl ist es sehr schön und wichtig, Schritt für Schritt ein gleichwertiger Teil der Gesellschaft zu werden.

Eine wichtige Erfahrung dabei war auch, dass man auf die zunächst fremde Gesellschaft zugehen muss und sich nicht in seinem Zimmer verkriechen darf. Das erfordert am Anfang viel Mut und auch Überwindung, aber nach und nach kommt mit dem Erfolg dann auch das nötige Selbstvertrauen. Eine sehr große Hilfe dabei waren natürlich unsere BetreuerInnen im Heim, die uns dabei immer wieder positiv ermutigt und bestärkt haben. Wir hatten das Glück, dass wir minderjährig waren, denn wir haben mehrere BetreuerInnen gehabt, die uns immer wieder gesagt haben »so funktioniert das Leben in Deutschland und so kommt ihr weiter«. Sie haben uns den nötigen Rückhalt gegeben.

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Raphael Müller-Hotop

Ich heiße Raphael Müller-Hotop, bin Psychologe und war von Oktober 2014 bis August 2019 stellvertretender Vorstandsvorsitzender des NeuLand e.V.. Es begeistert mich jedes Mal aufs Neue das Engagement der AutorInnen und Ehrenamtlichen mitzuerleben und gemeinsam mit so vielen Menschen aus verschiedenen Kulturen dieses verbindende Projekt mitzugestalten. Was mir an NeuLand außerdem besonders gefällt ist der Austausch mit den AutorInnen und unser Ziel, durch die Vermittlung eines breiten Spektrums an Perspektiven Verstehen, Kennenlernen und Dialog zu fördern.