Fremdschämen. Mein Leben als Flüchtling in Deutschland

„Flucht“ ist ein Wort mit mehreren Bedeutungen, auch negativen: Heimweh, Krieg, Einsamkeit. Ich bin Flüchtling, ein Flüchtling in Deutschland, seit zwei Jahren.

Um ehrlich zu sein, schäme ich mich dafür. Und ich bedanke mich bei den Leuten in Deutschland. Deutschland ist ein berühmtes Land und Bayern ist sehr, sehr schön: Der Himmel ist blau und die Erde ist grün.

Aber ich schäme mich, wenn ein Flüchtling seinen Müll auf den Boden wirft oder eine Zigarette wegwirft.

Ich schäme mich, wenn ein Flüchtling bei Rot die Ampel überquert oder wenn in der U-Bahn ein Gebetsaufruf laut auf Arabisch auf dem Smartphone zu hören ist.

Ich weiß, auch viele Deutsche werfen den Müll weg oder haben ein lautes Smartphone in der U-Bahn. Aber sie sind Deutsche in Deutschland. Wir sind Flüchtlinge und wir werden beobachtet. Jeden Tag sehen die Leute Flüchtlinge, in der Zeitung und im Fernsehen.

Ich schäme mich, wenn ich für 325 € in der langen Reihe vor dem Sozialamt warten muss. Und wenn uns dann die Angestellten dort anlächeln und nett sind, wie zu Kindern, die keine Eltern mehr haben.

Ich kann verstehen, dass die Bürger in Deutschland auf uns böse sind. Ehrlich gesagt müssten die Deutschen den Friedensnobelpreis bekommen. Sie sind ein Volk, das immer noch von den Nazis verletzt ist, aber sich sehr besonders verhält. Die ganze Welt ist erstaunt über Deutschland.

Ich kenne mich nicht wirklich mit Politik aus. Aber ich verstehe die Flüchtlingspolitik von Deutschland trotzdem nicht: Ich habe gehört, dass viele Afghanen zurück nach Afghanistan müssen. Aber Krieg ist Krieg, egal ob in Syrien oder Somalia oder in Afghanistan.

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Raphael Müller-Hotop

Ich heiße Raphael Müller-Hotop, bin Psychologe und war von Oktober 2014 bis August 2019 stellvertretender Vorstandsvorsitzender des NeuLand e.V.. Es begeistert mich jedes Mal aufs Neue das Engagement der AutorInnen und Ehrenamtlichen mitzuerleben und gemeinsam mit so vielen Menschen aus verschiedenen Kulturen dieses verbindende Projekt mitzugestalten. Was mir an NeuLand außerdem besonders gefällt ist der Austausch mit den AutorInnen und unser Ziel, durch die Vermittlung eines breiten Spektrums an Perspektiven Verstehen, Kennenlernen und Dialog zu fördern.