"Welches Gewicht hat das Wort einer Frau im Vergleich zu jenem eines Mannes in Albanien?"
Es ist irgendwie ein anderes Gefühl, ob man in Albanien selbst oder in Deutschland über Albanien schreibt. Man könnte denken, dass es in diesem kleinen Land mit nur 3.500 000 Einwohnern nicht viele Probleme gibt. Hier möchte ich zwischen den Problemen, über die gesprochen wird und jenen, über die nicht gesprochen wird, unterscheiden.
Manchmal denke ich, dass die kommunistische Mentalität immer noch in weiten Teilen des Landes vorherrschend ist. Die Leute wissen, dass es ein Problem gibt, aber sie sprechen es nicht laut aus. Im Fernsehen, im Alltag – überall sieht und fühlt man, dass das Wort einer Frau nicht das gleiche Gewicht hat wie das eines Mannes.
Grida Duma beispielsweise, die Sekretärin für Public Relations der Demokratischen Partei in Albanien, fasste in der jüngeren Vergangenheit die Fakten im Hinblick auf die große Armut im Lande zusammen und konfrontierte die Regierung damit. Das Eurobarometer, der Maßstab der Europäischen Union für die Leistung der europäischen Länder und des westlichen Balkans, bestätige Jahr für Jahr die Verschlechterung der albanischen Entwicklungsindikatoren. Das Eurobarometer für Albanien im Jahr 2018 zeigt, so sagt sie, dass 1.750.000 Albaner ihre wirtschaftliche Situation als extrem schlecht bezeichnen. Das Eurobarometer zeige auch, dass die Arbeitslosigkeit für 67% der Albaner das größte Problem sei.*
Frau Duma gab die Erklärung auf einer Pressekonferenz der Demokratischen Partei ab. Darauf folgte natürlich ein Beschluss darüber, wie die Situation im Lande verbessert werden könnte. Die lokalen Medien haben allerdings weder darüber geschrieben noch diesen Sachverhalt in den Nachrichten erwähnt.
Zwei Tage später, in einer sehr berühmten TV-Talkshow (“Ein Abend mit Xhaxhiu”), wurde Lulzim Basha, ein anderer Politiker derselben Partei, eingeladen, um die alarmierende Zahl der Arbeitslosen in Albanien zu enthüllen. Plötzlich war das eine große Neuigkeit, alle waren geschockt. Er wiederholte genau das, was Frau Duma zwei Tage vorher gesagt hatte, zusammen mit ihren Empfehlungen, wie man das Land aus der Krise herausholen könnte. Die Fragen, die ich mir stelle, sind: Ist das alles ein Zufall? Steckt eine Absicht dahinter? Wiederholen jetzt sogar die Medien diese alte patriarchalische Mentalität?

Nachdem ich bisher außerdem häufig über Straftaten und kriminelle Handlungen in albanischen Familien nachgedacht habe, möchte ich auch meine wesentlichen Gedanken hier zusammenfassen. Dabei möchte ich das von Fareed Zakaria vertretene Paradigma der “Kriminaldemokratisierung”** verwenden. Die Situation der häuslichen Kriminalität hat sich in letzter Zeit so verschärft, dass fast jede menschliche Grenze überschritten wird. Leider wird in den ländlichen Gebieten Albaniens das “Gesetz” zu Hause vom Vater, dem Mann des Hauses, erlassen. Der Unterschied zwischen einem Frauenleben in der Hauptstadt Tirana und einem Leben in den kleinen Dörfern, irgendwo im Norden oder Süden, ist enorm.
Einige Männer leben noch im letzten Jahrhundert.
Eigentlich hat man folgendes Bild vom Herzen Albaniens im Kopf: Lachende Studenten, ihre Bücher in den Händen haltend, pulsierendes Nachtleben am Wochenende, die abendlichen Talkshows im Fernsehen oder auch die Pläne, wie man unser Land in die Europäische Union integrieren könnte. Ein paar Schritte weiter ist das Gras allerdings nicht mehr ganz so grün, hier regiert die starke Hand des Patriarchats. Einige Männer leben noch im letzten Jahrhundert. Wenn sie auch nur den Verdacht haben, von ihren Frauen betrogen worden zu sein, haben sie keine Scheu, deren Leben gewaltsam zu beenden.
Natürlich ist es klar, dass die Menschen, die solche Handlungen ausführen im mittleren oder höheren Alter sind. Ich persönlich fühle mich aber schlecht, wenn ich höre, dass einige Frauen wie Sklaven in ihrem eigenen Haus leben. Sie wissen ganz genau, was gut für sie ist. Sie wissen bestimmt, was sie glücklich macht. Aber in solchen Kulturen ist das manchmal so. Die Frauen tun so, als ob sie bestimmte Dinge nicht gesehen, verstanden oder gehört hätten, um nicht anzuecken oder aufzufallen. Ich glaube, sie haben Angst, das zu verlieren, was sie haben und ziehen deshalb vor, dass man ihnen ins Gesicht lügt.

Wirtschaftliche Abhängigkeit ist meist der Grund, warum sich einige Frauen ihren Männern unterwerfen. Dieser Teufelskreis ist schwer zu durchbrechen. Meist führt auch noch die Eifersucht dieser Männer dazu, dass ihre Frauen sich nur noch um das Haus kümmern und sich nicht um eine eigene Berufstätigkeit bemühen. Das bedeutet, dass das ganze Einkommen von den Männern erwirtschaftet wird. Diese fühlen sich somit nicht nur als Herrscher ihres Hauses, sondern sie dominieren auch ihre Frauen. So muss man leider festhalten, dass das Wort einer Frau nach wie vor – trotz der Demokratiebestrebungen im Lande – bisher kaum ins Gewicht fällt.
* vgl. www.oranews.tv/article/dp-statement-stop-ramas-government-brin- ging-out-worst-scenarious
** Zakaria, Fareed, Das Ende der Freiheit, Frankfurter Allgemeine Buch 2005 (Übers. Torsten Waack)