Die schiere Kraft des Willens

Ein bewegender Besuch im Walldorf Heimatmuseum

Vor einiger Zeit, genau während meines letzten Urlaubs 2020, habe ich einen Moment erlebt, der mich zum Nachdenken gebracht hat.

Zuvor möchte ich Sie wissen lassen, dass es mir an schönen Momenten in dieser großartigen Stadt Walldorf, die ich vor drei Jahren kennengelernt habe, nicht mangelt: Zum Beispiel, wenn ich jeden Tag mit dem Fahrrad zu meiner Firma in Mörfelden radle, wo ich eine Ausbildung mache, oder zur Berufsschule in Groß-Gerau (BSGG) fahre. Für mich hat dieser Tagesablauf schon etwas Schönes und Bemerkenswertes. Inzwischen kenne ich so viele nette Leute in Walldorf und in Deutschland, die warmherzig und hilfsbereit sind und die mich ab und an einladen und ich besuche sie und unterhalte mich gerne mit ihnen. *)

Ein Besuch im Walldorfer Heimatmuseum

Aber der Moment, der so besonders war und mich tief zum Nachdenken gebracht hat, war, als meine Partnerin und ich eine private Führung im Walldorf Heimatmuseum bekommen haben. Bei diesem Besuch hatte ich das Privileg, aus erster Hand etwas über die Geschichte Walldorfs und den unbeugsamen Geist der Walldorfer zu erfahren.

Geschichte, da werden Sie mir zustimmen, wird am besten von Zeitzeugen aus erster Hand erzählt. Und außerdem von jemandem, der ein solches Erbe mit den Menschen, dem Hintergrund, der Tradition und der Kultur dieser Zeit teilt. Deshalb war meine Einladung ins Walldorf Heimatmuseum so einzigartig. Es war mein Freund, ein echter Ureinwohner Walldorfs, der dies ermöglichte: Herr Horst Jourdan.

Walldorf bildet einen Teil der Doppelstadt Mörfelden-Walldorf. Sie liegt im Landkreis Groß-Gerau, im südlichen Teil von Hessen und befindet sich in der Nachbarschaft des weltberühmten Frankfurter Flughafens. Und laut einer aktuellen Aufzeichnung hat Walldorf eine Einwohnerzahl von 15.841 während ganz Mörfelden-Walldorf, 34.876 Einwohner hat. Der Bürgermeister ist Thomas Winkler.

Jetzt, wo ich Walldorf fast drei Jahre kenne und aufgrund meiner Erfahrungen hier muss ich sagen, dass diese Stadt ein freundlicher, günstiger, einladender Ort zum Leben ist.

Wie die Industrie-Stadt Stuttgart-Zuffenhausen ist Walldorf und seine multikulturelle ko-existenzielle Dynamik ein echtes Vorbild. Tatsächlich haben die Walldorfer – wie alle Regionen Deutschlands – ein ganz besonderes Talent, alle Nationalitäten egal welcher Hautfarbe, Rasse, Religion, Kultur oder demografischer Herkunft aufzunehmen. Und deshalb ist Walldorf immer ein place to be, egal wann.

Zurück zu meinem Rundgang im Museum: Das Walldorf Heimatmuseum ist praktisch voll mit schönen Antiquitäten, deren Ursprung bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht.

Tatsächlich haben die Walldorfer ein ganz besonderes Talent, alle Nationalitäten egal welcher Hautfarbe, Rasse, Religion, Kultur oder demografischer Herkunft aufzunehmen.

Der starke Geist der Ureinwohner
 

Genau dort hat mir mein Führer Horsti-Bay (mein Spitzname für Herrn Horst Jourdan) gesagt, dass alle Gründer von Walldorf mutige Männer und Frauen waren. Sie waren in der Lage, gegen alle Widrigkeiten der damaligen Zeit ihre Existenz geografisch festzuhalten. Trotz der Unterdrückung durch die katholische Kirche, die sie zwang, ihre Heimat in Frankreich zu verlassen (das war während der mittelalterlichen Herrschaft der kirchlichen Autorität), waren diese unerbittlichen Männer und Frauen voller Mut entschlossen, ihren Weg in die Freiheit zu gehen.

»Es war nicht leicht«, lobt Horsti-Bay und weist darauf hin, dass die Walldorfer*innen eine lange Strecke durch raues Wetter und Gelände zurücklegen mussten, mit wenig oder gar nichts, woran sie sich festhalten konnten, bis es ihnen schließlich gelang, sich niederzulassen. Mitgebracht haben sie, seiner Meinung nach, ihr uraltes Wissen über die Landwirtschaft, zum Beispiel den Anbau der Kartoffel.
Ihm zufolge konnten die ersten Walldorfer*innen mit Durchhaltevermögen, Fleiß und Entschlossenheit eine freie und egalitäre Gesellschaft aufbauen, die heute als Walldorf bekannt ist.

Als Journalist mit über 10 Jahren Berufserfahrung in meiner Heimat, schlenderte ich durch den Saal und konnte die Willenskraft der Walldorfer spüren. Die Willenskraft ist übrigens ein Charakterzug, den ich auch im ganzen deutschen Volk und Staat erlebt habe.

Wegen der Festtage und der damit verbundenen Fröhlichkeit wurde unser Aufenthalt im Museum abgekürzt – auf einen angemessenen Aufenthalt von eineinhalb Stunden. Außerdem musste ich mit meiner Partnerin und ihrem Auto wieder nach Hause. Aber die Besichtigung des Museums löste einen Wirbel von Gedanken und Gefühlen in mir aus.

Ich fühlte mich impulsiv und beflügelt in meinem Geist. Ich verglich die Entstehung, das Wachstum und die Entwicklung von Walldorf mit anderen afrikanischen Staaten und mir gingen mir so viele Fragen durch den Kopf. Dieses einst kleine Walldorf, jetzt eine blühende moderne Stadt, steht weit über dem Vergleich mit vielen Staaten Afrikas, die zeitgleich mit Walldorf gegründet wurden oder noch früher.

*) z.B. die Familie Erich Konhäuser, Frau Sonja Bartel, Sibel Karabay, Alexander Jewell-Thomas, Marco Weil und die Familien Alois Kasparik, Maja Koschade, Pfarrerin Sigrid Zweygart-Pérez, den Pfarrer Murat Yulafci, meinen Nachhilfelehrer Abdülmenaf Kurban von der TWBI Gruppe und den katholischen Flüchtlingsseelsorger Jochen Winter.

Der Vergleich mit afrikanischen Ländern
 

Ohne Vorurteile zu haben, kenne ich die Geschichte mehrerer afrikanischer Königreiche und Nationalitäten und habe darüber gelesen. Die Länder waren Königreiche, sozusagen, so groß und berühmt damals. Diese Königreiche verfügten auch über riesige Ländereien und alles, was es für das Wachstum und die Entwicklung eines modernen Stadtstaates braucht. Aber wie Sie mir zustimmen werden, können die meisten dieser sogenannten Königreiche oder Herzogtümer von damals in keiner Weise mit dem Grad an Entwicklung und Wachstum mithalten, die die Stadt Mörfelden-Walldorf von ihrem Gründungstag an bis heute erreicht hat.

Die meisten dieser Königreiche, die später unter kolonialer Herrschaft zu einem Land zusammengeschlossen wurden, sind heute noch redundant, repressiv, geschwächt, abhängig, unterentwickelt und verarmt. In der Tat sind sie bis heute wie das größere Land, zu dem sie gehören: Sehr unstrukturiert und unmodern.

Meine Frage ist: Warum ist es so, dass die meisten Länder in Afrika immer noch nicht modernisiert sind und keine sozialen Einrichtungen haben? Und eine Stadt wie Walldorf, die vor nicht allzu langer Zeit gegründet wurde, ist so modern und nun der Anziehungspunkt für diverse Nationalitäten – die hier eine Heimat finden. Was ist oder wo liegt das Problem?

Bevor ich weiter aushole, lässt sich die Ursache des Problems vielleicht an folgenden Zitaten verdeutlichen, die ich entlehnt habe:

»Der wirkliche Test ist nicht, ob Sie dieses Scheitern vermeiden, denn das werden Sie nicht. Es geht darum, ob du es zulässt, dass es dich verhärtet oder dich beschämt, oder ob du daraus lernst; ob du dich entscheidest, durchzuhalten.«
Barack Obama

»Die Bereitschaft, neue Fähigkeiten zu erlernen, ist sehr hoch.«
Angela Merkel

»Nichts kann den Mann mit der richtigen geistigen Einstellung davon abhalten, sein Ziel zu erreichen; nichts auf der Welt kann dem Mann mit der falschen geistigen Einstellung helfen.«
Thomas Jefferson

»Stärke kommt nicht von körperlicher Leistungsfähigkeit. Sie kommt von einem unbezwingbaren Willen.«
Mahatma Gandhi

»Wo der Wille groß ist, können die Schwierigkeiten nicht groß sein.«
Niccolo Machiavelli

»Die Forschung zeigt, dass Willenskraft wichtiger ist als der IQ. Deshalb geht es nicht darum, schlauer zu werden, sondern darum, selbstdisziplinierter zu werden.«
Adam Kirk Smith

Der Wille zählt
 

Wenn ich die Bedeutung dieser Zitate betrachte, bin ich der Meinung, dass der Wille und die Kraft der Selbstbestimmung der Kernpunkt ist, der benötigt wird, um eine positive Veränderung zu bewirken. Positive Veränderung gibt es durch Wachstum, Entwicklung, Fortschritt, eine freie und egalitäre Gesellschaft und vor allem durch ein Land, in dem Milch und Honig fließen, wie die Stadt Mörfelden-Walldorf. Dieser Wille zur Selbstbestimmung fehlt aber noch bei den derzeitigen Führern Afrikas.

Diese Schlussfolgerung ziehe ich aus meiner Erfahrung in den Tagen meiner aktiven politischen Beteiligung in meinem Heimatland. Sie war nur von kurzer Dauer, weil ich politisch verfolgt wurde – ein Mittel, das die Regierenden und Machthaber einsetzen, um den Willen des Volkes zum Schweigen zu bringen.

Ohne das religiöse Empfinden des Einzelnen verletzen zu wollen, heißt es im Alten Testament (die Sprüche Salomonis 29:18): »Wo keine Vision (in diesem Fall der WILLE) ist, geht das Volk zugrunde.« Diese alte Weisheit sollte in den Geist der afrikanischen Führer fahren, um sich über die Grenzen, Stagnation, Jammern, Schulden und Armut zu erheben.

Afrikaner und Afrikas Führer müssen beginnen, die natürlichen, mineralischen Potentiale zu sehen, die in der Luft, im Land und im Meer des Kontinents reichlich vorhanden sind. Davor sollten sie die menschliche Willenskraft und die Streben nach Erfolg sehen, pflegen und erkunden. Denn sie sind das Fundament jeder Zivilisation.

Mit dem Blick über den Tellerrand müssen die Führer darin geschult werden, mutige und fortschrittliche Entscheidungen zu treffen. Sie sollten sich von allen Formen einer laissez-faire-Führung abwenden und von der Art des leichtgläubigen Regierens, bei der die egoistischen Interessen der Regierenden über denen stehen, die sie eigentlich regieren sollten.

Die afrikanischen Führer
 

Durch tief verwurzelte, systemische Korruption, Intransparenz und Verantwortungslosigkeit angefacht, sind diese Führer zufrieden, sobald und solange ihr persönliches Interesse befriedigt ist. Bedauerlicherweise fehlt ihnen jedoch das Wissen, dass ihre Interessen auf lange Sicht ebenfalls leiden werden. Dazu kommt: noch ungeborene Generationen werden den Preis von Not und Schmerz für das Versagen der Regierung zahlen. Und warum? Weil die heutige Führung zu faul ist, eine fortschrittliche und demokratisch prinzipientreue Politik zu betreiben. Eine Politik, die kultiviert und zu einer Lebensweise werden sollte. Es handelt sich um eine entwicklungs- und menschenorientierte Politik, die von der Willenskraft der Regierung begleitet werden sollte.

Auf die Weise würden diese Führer nicht nur als große Reformer in die Bücher der Welt eingehen und als diejenigen, die das Schicksal Afrikas im Sinne der Modernisierung gestalten. Kurzum, dies könnte einen dreifachen Effekt nach sich ziehen: Erstens, ein verbesserter Lebensstandard der jetzigen Generation. Zweitens den Stolz der zukünftigen Generation. Drittens würde der Kontinent von dem Spott in den Augen der modern zivilisierten Welt befreit sein.

Auch das Spiel der Schuldzuweisung an andere westliche Nationen, unseren bedauernswerten und rückschrittlichen Zustand verursacht zu haben, würde ein Ende finden. Die afrikanischen Führer haben die Wahl, eine Lektion am Beispiel der Walldorfer zu lernen. Die kämpften und erreichten ihren Grad an Zivilisation und Modernisierung wie andere hoch entwickelte Nationen durch die schiere Kraft des Willens.

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Raphael Müller-Hotop

Ich heiße Raphael Müller-Hotop, bin Psychologe und war von Oktober 2014 bis August 2019 stellvertretender Vorstandsvorsitzender des NeuLand e.V.. Es begeistert mich jedes Mal aufs Neue das Engagement der AutorInnen und Ehrenamtlichen mitzuerleben und gemeinsam mit so vielen Menschen aus verschiedenen Kulturen dieses verbindende Projekt mitzugestalten. Was mir an NeuLand außerdem besonders gefällt ist der Austausch mit den AutorInnen und unser Ziel, durch die Vermittlung eines breiten Spektrums an Perspektiven Verstehen, Kennenlernen und Dialog zu fördern.