Die KILDAN-Musik

Die Spielweisen von Musik an den Ufern des Euphrat und in der Stadt an der Isar sind ähnlich. Aber das, was Majid am Euphrat durchgemacht hat, unterscheidet sich sehr von seinem Leben in München. Viele Jahre gingen ins Land, bis das KILDAN-Ensemble gegründet wurde, das in sich als eine kleine musikalische Welt gelten kann.

Das KILDAN-Ensemble verbindet traditionelle irakische Klänge mit zeitgenössischen Elementen. In diesem Ensemble harmoniert das Cello mit der Laute, die (orientalische) Zither mit der Gitarre und das Akkordeon mit orientalischen Trommeln. Den Gedanken, so eine Musikgruppe zu gründen, hatte Majid im Jahr 2016, als ein deutsches Publikum die Musik der Laute hörte und sich danach erkundigte, wie alt dieses Instrument sei. Sie fragten: »Ist die Laute wirklich der Großvater der Gitarre?«

Majid al Mandawy hat in München ein Schmuckgeschäft und übt stets in seinem Laden. Al Mandawy berichtet: »Viele Kunden kommen hier herein, und wenn sie dann näher herankommen und die Töne der Musik vernehmen, lauschen sie aufmerksam und vergessen den Schmuck. Dann strömen viele Fragen über die Laute und die orientalische Musik heraus.« Es war sehr schwer, Musiker zu finden, die innerhalb eines Systems harmonisch zusammenspielen können.

Die Flucht nach Deutschland
Die schwierigste Angelegenheit für ihn blieb jedoch der Fluchtweg von Bagdad nach München. Majid al Mandawy wurde im Jahre 1970 in Bagdad geboren, er wuchs in einer Familie einer religiösen Minderheit (Mandäer) auf, von denen es weltweit ca. 53.000 Menschen gibt. 50.000 von ihnen wanderten nach Europa und Amerika aus wegen der Drangsalierungen durch Saddam Hussein, da sie sehr gute Musiker waren, Geld besaßen und im Goldhandwerk tätig waren. Er erpresste von ihnen Geld oder drohte ihnen mit Gefängnis während der Belagerung des Irak durch Saddam, ebenso verlangte er von ihnen, dass sie über ihn und seine Kinder Loblieder singen und falls sie das nicht tun würden, so die Drohung, dann würden sie große Probleme bekommen. Nachdem Majid in seiner frühen Kindheit eine musikalische Grundausbildung erhalten hatte, lernte er weiter an einer Musikschule, auf die ihn sein Vater schickte, die irakischen Tonleitern. Majid al Mandawy erzählt: »Die irakische Regierung forderte von meinem Vater Geld zu der Zeit, als er ein Goldgeschäft besaß. Falls er der Forderung nicht nachkommen würde, würde es Probleme mit seinem Sohn (d.h. Majid) geben.«
Da sagte sein Vater zu ihm: »Flieh nach Deutschland!« Und so floh er im Jahr 1995 zunächst in die Türkei und von dort in einem Auto mit geschlossenen Fenstern sieben Tage lang nach Deutschland. Sieben Personen waren in diesem Auto. Majid al Mandawy fährt fort mit dem, was dann passierte: »Ich hörte nur den Atem der anderen Passagiere und eine ächzende Stimme. Jener 40-jährige Mann, der seine Medikamente vergessen hatte, hatte eine Herzkrankheit. Er starb am sechsten Tag der Reise und blieb mit uns tot einen Tag lang im Auto, bis wir endlich in München ankamen!«

Danach blieb Majid al Mandawy in München und versuchte, seine Familie auch über einen Flüchtlingsweg auf »illegale Weise« nach Deutschland zu holen. Deswegen wurde er von einem deutschen Gericht bestraft. Als jedoch der Richter nach einigen Tagen die Bilder und Nachrichten aus dem Irak im Fernsehen mit getöteten Menschen auf dem Boden sah, sandte er Majid al Mandawy ein Entschuldigungsschreiben und gewährte ihm eine Daueraufenthaltsgenehmigung. Als seine Angelegenheiten zur Ruhe kamen, beschäftigte sich Majid ausschließlich mit Musik und begann, mit seinem Sohn Kildan die Musikgruppe KILDAN aufzubauen.

Kildan
Kildan hat ein musikalisches Gehör und ist Experte auf dem Gebiet der irakischen Instrumente und kann sehr schön spielen. Er beherrscht auch das Spiel auf verschiedenen anderen Instrumenten, er hat eine schöne Stimme und er ist das Geheimnis des Erfolgs und der Brillanz der Gruppe, indem er die irakische und arabische Musik mit westlicher Musik vermischt. Er beherrscht sehr gute verschiedene orientalische Instrumente, obwohl er hier in München geboren wurde. Er ist der Meister der Gruppe, indem er auf der orientalischen Zither spielt und gleichzeitig vorsingt und einige andere Ensemblemitglieder singen ihm nach.

Kildan sagt: »Mein Vater hat die Liebe zur Musik in mein Herz gesät.« Er hat ein Bild von sich, wo er mit drei Jahren schon die Zither umarmt. Kildan spricht fließend Deutsch und er erklärt den Ensemblemitgliedern die Musik auf Deutsch und Arabisch. Er ist immer in Verbindung mit allen anderen Musikern und legt die Probentermine fest. Er gewinnt neue Bandmitglieder auf zwei unterschiedliche Arten: Erstens durch Witz und Zufall und zweitens in der Gemeinschaft der Flüchtlinge, die durch den Krieg hunderte von Kilometern von ihrer Heimat getrennt wurden.

Das KILDAN-Ensemble
Selim aus der Türkei wohnt in München, er spielt Saxofon in seiner Wohnung ganz oben in einem Haus in der Nähe des Englischen Gartens. Als Majid und sein Sohn Kildan dort mit dem Hund Gassi gingen, hörten sie die Musik bis ganz unten im gleichen Gebäude. Es dauerte jedoch zwei Monate, bis sie sich trauten, ihn anzusprechen und einzuladen, bei den Proben teilzunehmen. Ebenso war es mit Luis aus Malaga, der Gitarre spielt und im gleichen Haus wie Kildan und Majid wohnt. Majid al Mandawy hörte die Stimme der Gitarre vom Fenster aus. Luis sagt: »Als jemand an meine Tür klopfte, glaubte ich, dass ich zu laut war und sich jemand beschweren möchte.« Aber Majid wollte sich nicht beschweren, sondern im Gegenteil – er wollte er ihn zur Musikgruppe einladen. Die Gitarre und die Laute haben einen ähnlichen Klang und haben den gleichen Ursprung. Das half ihm, schnell mit der andalusischen und orientalischen Spielweise warm zu werden. Obwohl er kein echter Flamenco Gitarrist ist, benutzt er denselben harmonischen Hintergrund und das passt eigentlich ganz gut mit der orientalischen Musik zusammen. Dabei hat er neue musikalische Harmonien und Richtungen und interessante Rhythmen gelernt. Luis sagt: »Im Kildan-Ensemble gibt es gute Laune und Musiker aus verschiedenen Ländern!«

Robert spielt Cello, er ist ein Sohn der Stadt München, er ist Geigenbauer von Beruf und hat eine Musikinstrumenten-Reparaturwerkstatt. Als Majid seine Laute bei ihm reparieren ließ, bot er Robert an, in dem Ensemble mitzuspielen.
Robert sagt: »Ich liebe die orientalischen Rhythmen, seit meiner Kindheit höre ich mir schon die Musik von orientalischen Instrumenten an! Diese intensive Auseinandersetzung mit der besonderen irakischen Musik bereichert mein Leben jeden Tag.« Das fördert den liebevollen Umgang, Offenheit und Freundschaft unter den Musikern. Robert fährt fort: »Menschen unterschiedlichen Verhaltens tauschen immer gerne ihre Gedanken aus, auch über die Musik und die Instrumente. Beispielsweise ist die arabische Laute dem Körperbau der europäischen Renaissance-Laute ähnlich. Der Flamenco ist eine Mischung unterschiedlicher arabischer und europäischer Traditionen. Die beiden Traditionen bereichern und beeinflussen sich gegenseitig.«

Die Sängerin Walaa aus Syrien floh nach Deutschland, nachdem sie schwierige Momente des Krieges erlebt hatte. Ihre Motivation zu singen ist noch nicht zurückgekehrt, denn die lauten Stimmen der Artillerie und der Gewehre waren lauter als ihre Stimme. Sie ist die Blüte der Gruppe und wenn sie singt, begleitet sie das Ensemble. Der Gesang und die Begegnung mit Deutschen und Menschen anderer Nationalität hat ihre Sprachkenntnisse sehr verbessert. Walaa sagt: »Die Musik hat mir geholfen, die Katastrophe des Fremdseins und die Einsamkeitsgefühle zu überwinden, die ich in den ersten sechs Monaten in München hatte.«

Irakisch-orientalisch und deutschwestlich
Das Ensemble ist sehr vielfältig und das macht die Gruppe so besonders, jedes Ensemblemitglied bringt eine Bereicherung aus seiner Kultur mit. Dieser Einfluss spiegelt sich wieder in einer guten musikalischen Atmosphäre zwischen den Ensemblemitgliedern auch außerhalb der Bühne. Walaa sagt: »Auf diese Art und Weise findet man sich bei jeder Feier in seinem Stuhl sitzend und gleichzeitig auf einer Reise zwischen den unterschiedlichsten Kulturen und verschiedenen Zivilisationen.«

Im Gegensatz dazu hat der Deutsche Benedikt, der bei KILDAN Klavier spielt, durch die Musik seine Arabischkenntnisse verbessert, die er während seines Studiums in München erworben hat. Seit seiner Kindheit spielt er Klavier und lernte die Grundkenntnisse der Musik im Gymnasium Haar. Seine irakische Frau vergrößerte seine Liebe zur arabischen Sprache und Musik. Das erste Geschenk, das sie ihm vor der Hochzeit machte, war eine CD von Bahir al-Rajab, welcher gleichzeitig der Lehrer von Majid war und ihm anfangs half, dieses Ensemble zu gründen. Benedikt vertiefte sich in die arabische Musik und lernte die orientalischen Skalen und bedeutende arabische Künstler kennen. Er spielt auch bayerische Volksmusik. Er sagt: »Die arabische orientalische Musik ist sehr vielfältig und es gibt besondere Tonleitern mit Vierteltönen, während die europäische Musiktradition nur Halbtonschritte kennt.« Er genießt die arabische Musik sehr und singt im Ensemble die irakischen Lieder mit. Er lernte von seinen Kollegen die arabischen Tonleitern wie z.B. Nahawand, Kurd oder ´Ajam. Die Musikgruppe zielt darauf ab, den guten Geschmack von gebildeten Deutschen zu treffen, überbringt ein gutes Bild von Liebe, Frieden und Freundschaft und stärkt die Vermittlungsarbeit. Majid al Mandawy sagt: »Ich bin glücklich über die ausgewogene Vermischung von irakischorientalischer mit deutscher-westlicher Kultur auf elegante und ideale Weise.« Majid wird bestimmt die Laute in Deutschland noch bekannter machen, deren Ursprung ca. 4000 Jahre zurückliegt.

Es gibt viele Faktoren, die Kildan und seinem Vater helfen, das Ensemble stetig zu erhalten und noch bekannter und größer zu machen, z.B. die Unterstützung vom Kulturreferat und von deutschen Freunden. Das Ensemble besteht aus unterschiedlichen Persönlichkeiten aus verschiedenen Ländern wie dem Irak, Syrien, US Amerika, Deutschland, Tunesien und Spanien und anderen. Das weckt beim Publikum Sympathie und gute Gefühle und macht die Leute neugierig, mehr darüber zu erfahren.

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Raphael Müller-Hotop

Ich heiße Raphael Müller-Hotop, bin Psychologe und war von Oktober 2014 bis August 2019 stellvertretender Vorstandsvorsitzender des NeuLand e.V.. Es begeistert mich jedes Mal aufs Neue das Engagement der AutorInnen und Ehrenamtlichen mitzuerleben und gemeinsam mit so vielen Menschen aus verschiedenen Kulturen dieses verbindende Projekt mitzugestalten. Was mir an NeuLand außerdem besonders gefällt ist der Austausch mit den AutorInnen und unser Ziel, durch die Vermittlung eines breiten Spektrums an Perspektiven Verstehen, Kennenlernen und Dialog zu fördern.