Der syrische Friedenschor

Die syrischen Jugendlichen kamen von hinter den Bergen und hinter den Meeren. Sie ließen alles hinter sich zurück, ihre Häuser, ihre Familien und ihre zerstörte Heimat. Sie kamen gegen ihren Willen hierher nach Deutschland und hatten nur ihre Erinnerungen, Musikinstrumente und ihre Kunst bei sich. Vielleicht erleichtert die Musik ihre Schmerzen und ihre Sprache (die Musik) erleichtert die Integration. Singen heißt, sich bemerkbar machen, im Hier und Jetzt zu sein. Einer von ihnen sagte: „Durch die Musik erzählen wir, was gerade in Syrien passiert!“

Sie singen über die Zerstörung ihrer Häuser. Die Gruppe entstand im Jahr 2015 mit ein paar Sängern und einem Keyboard, es waren 4 Personen mit einem „orientalischen Klavier“.

»Ich brachte mein Keyboard mit, um den Deutschen zu zeigen, dass wir trotz des Krieges noch Kultur haben.«

Uday Alturk sagt: „Ich kam aus Homs, nachdem mein Onkel und meine Tante entführt wurden“. Danach floh er mit seiner Familie und sie nahmen nur das orientalische Klavier mit. Er sagt weiterhin: „Ich brachte mein Keyboard mit, um den Deutschen zu zeigen, dass wir trotz des Krieges noch Kultur haben. Ich möchte den Deutschen unsere orientalische Kultur zeigen.“

Jetzt spricht Udai sehr gut Deutsch und arbeitet als Mechatroniker. Die Gruppe trägt weiße T-Shirts, auf denen das Wort Salam (Frieden) auf Arabisch geschrieben steht, außerdem der Schriftzug München – Heimatstadt des Sängers (z.B. Damaskus). Die weiße Farbe weist auf den Frieden hin, in dem Syrien gerne leben möchte, und den sie auch Deutschland wünschen. Mit der Kombination aus München und Heimatstadt wollten die Sänger ihre schönen Erinnerungen aus Syrien mit den guten Erlebnissen in München verknüpfen. Der syrische Friedenschor, der von Ahmad Abbas gegründet wurde, besteht aus einer Gruppe junger, in München lebender Syrer. Ihre Vision ist es, für Frieden in ihrem Land zu singen.

Er dachte, er sei tot: Knapp überlebte Ahmad Abbas einen Angriff in Syrien. Dann flüchtete er nach München und gründete einen Chor. Er sei ein »besonderer Flüchtling«, sagt er. Immer wieder müsse er deshalb seine Geschichte erzählen. Alles habe damit begonnen, dass er und seine Schwester Hanadi im Haus der Familie in der Nähe von Homs waren. „Dann hat », Ahmad räuspert sich kurz, fasst sich aber schnell wieder und fährt fort, »eine Granate eingeschlagen, die unseren Gaskocher explodieren ließ ». Chaotisch waren dann die nachfolgenden Stunden. Ältere Geschwister beschafften einen Transporter und brachten ihn und seine Schwester, beide schwer verletzt, auf Schleichwegen an die libanesische Grenze, wo Krankenwagen auf sie warteten.

Für die Verbrennungen von bis zu 85 Prozent waren jedoch ganz schnell Hauttransplantationen nötig, die das Krankenhaus im Libanon nicht leisten konnte. Von einem deutschen Journalisten zufällig entdeckt, rettete ein Facebook-Hilfeaufruf des Mannes den beiden jungen Leuten das Leben. Spendengelder machten es möglich, dass sie bereits wenige Tage später nach München verlegt wurden, wovon sie, im künstlichen Koma liegend, nichts mitbekamen.

»Als ich aufgewacht bin«, erzählt Ahmad, »da dachte ich erst, ich bin jetzt im Paradies. Alle waren weiß gekleidet. Erst mein Cousin, der mitreisen durfte, hat uns dann erzählt, was passiert war. Ich konnte mich nicht einmal an die Explosion erinnern«. Ahmad Abbas hat den Friedenschor als offiziellen Verein eintragen lassen und ein Spendenkonto eröffnet. 

Die Gruppe wuchs von Tag zu Tag, es kamen viele neue Talente dazu und aus dem Hobby wurde eine ernstzu- nehmende Angelegenheit. Sie proben jeden Freitag Abend und treffen sich in der Evang.-Luth. Nazarethkirche am Leuchtenbergring, wo der Chor fleißig und entschlossen drei Stunden lang übt. Die Teilnehmer kommen sogar aus verschiedenen Städten von weit her.

Omran Al Hij sagt: „Ich bin seit 2018 in der Gruppe dabei und nun leite ich die Probe und übe mit den Teilnehmern neue Lieder aus dem syrischen Kulturgut. Wir singen auch Lieder auf Deutsch mit arabischer Melodie. Ich nehme gerne an dieser Gruppe teil, wir sind mittlerweile bekannt und berühmt!“

Der Chor versucht, den Deutschen jede Geschichte ihrer Heimat zu erzählen. Ihre Botschaft ist die Musik der Freude, der Hoffnung und des Friedens. Sie überbringen ihre Botschaft nicht nur durch die Musik, sondern auch mit künstlerischen Tafeln, die sie angefertigt haben, und auch durch kleine Kurzfilme (Dokumentationen) über Syrien.

Der Autor dieser Filme heißt Baha aus Deir ez-Zor. Im Jahre 2012 verließ er sein Haus, nachdem es zerstört wurde. Er war ein Gefangener des IS, weil er in einer Apotheke arbeitete, während er eigentlich beim Gebet in der Moschee sein sollte. Er wurde mehrmals verhaftet. In seinen Filmen stellt er dar, wie Syrien vor dem Krieg war und was daraus geworden ist. Nach Deutschland kam er nicht, um Geld zu bekommen, sondern um in Frieden leben zu können.

Die Gruppe gestaltet alles in orientalischem Charakter, das Dekor, das Essen und die Atmosphäre. Die Mütter und Frauen bereiten alles hinter den Kulissen vor. Das Ergebnis der Integration in Deutschland ermutigt die Frauen, auch auf der Bühne zu stehen und mitzusingen. Rula Abu Khamis war die erste Frau, die an dem Chor teilnahm. Sie sagt: „Gerade komme ich aus Mindelheim nach München.“ Das sind über 90 Kilometer, die sie nach ihrer Arbeit in einem Altenheim zurücklegt.“

Als sie ein Kind war, wollte sie gerne singen, aber ihre Familie hat es ihr verboten, damit sie nicht vom Lernen abgelenkt wird. Jetzt hat sich ihr Traum verwirklicht und sie ermutigt andere Mädchen, auch zu singen. Ihre Tochter singt auch mit. Die Mutter sagt: „In Syrien waren wir Ingenieurinnen, Doktorinnen und Rechtsanwältinnen!“ Die Frauen lernten in der Universität und in der Schule. Amira aus Palästina studiert Deutsch als Fremdsprache im dritten Jahr. Der Chor transportiert eine menschliche Botschaft an die Deutschen, indem er an vielen öffentlichen Gelegenheiten teilnimmt. Der Chor wird auch zu verschiedenen Anlässen in deutsche und europäische Städte eingeladen.

»Das Ergebnis der Integration ermutigt die Frauen, auch auf der Bühne zu stehen.«

Die neueste Entwicklung ist, dass sie auch ein rotes T-Shirt tragen, auf dem der Schriftzug München – Heimatstadt geschrieben steht.
Das rote T-Shirt weist auf ein Leben voller Erfolg hin. Die Chorteilnehmer haben ein gutes Leben in Deutschland gefunden, einige studieren, viele arbeiten. Einige erzählen immer noch ihre Geschichte in Liedern und syrischen Sprichwörtern. Sie bauen Brücken durch die Musik, damit sie im Herzen der hier Ansässigen ankommen.

Artikel teilen?

Facebook
Twitter
WhatsApp
Pinterest

Raphael Müller-Hotop

Ich heiße Raphael Müller-Hotop, bin Psychologe und war von Oktober 2014 bis August 2019 stellvertretender Vorstandsvorsitzender des NeuLand e.V.. Es begeistert mich jedes Mal aufs Neue das Engagement der AutorInnen und Ehrenamtlichen mitzuerleben und gemeinsam mit so vielen Menschen aus verschiedenen Kulturen dieses verbindende Projekt mitzugestalten. Was mir an NeuLand außerdem besonders gefällt ist der Austausch mit den AutorInnen und unser Ziel, durch die Vermittlung eines breiten Spektrums an Perspektiven Verstehen, Kennenlernen und Dialog zu fördern.