Der Kampf der Titanen in meinem Haus

Alles hinter dir zu lassen und das Leben in einem anderen Land mit anderen Gesetzen, Sprachen und vermutlich anderen kulturellen Erwartungen zu beginnen, kann eine schwierige Herausforderung sein. Vor allem, wenn man unter einem Dach mit Menschen verschiedener Nationalitäten wohnt.  

Aufgrund unserer unterschiedlichen kulturellen Züge war es manchmal schwierig, Beziehungen aufzubauen, obwohl wir alle unter einem Dach wohnten. Eine Mischung von verschiedenen Kulturen unter einem Dach kann Menschen – und vor allem die, die schon traumatisiert sind – aggressiv machen.

Auf der anderen Seite hätte man die Verschiedenheit der Kulturen unter einem Dach auch schätzen können, weil man normalerweise viel voneinander lernen kann. Aber anstatt dass wir voneinander lernten, machten wir aus unserer Gemeinschaftsunterkunft bedauerlicherweise ein Schlachtfeld oder einen Krieg der Titanen. Heftige Auseinandersetzungen mit Schimpfwörtern zwischen den Bewohnern waren fast an der Tagesordnung.

Foto: Caro Zwinz

Essen, schlafen, warten

In einem Zimmer waren wir sechs Afrikanerinnen, aber alle aus verschiedenen afrikanischen Ländern.​

Ich dachte erst, dass wir gut miteinander zurechtkommen würden, weil wir alle aus dem gleichen Kontinent kommen. Ich lag da aber sehr falsch. Meine Schwestern aus Nigeria, die bekannt für ihre lauten Stimmen sind, gaben einigen von uns nie eine Chance, sich zu äußern, insbesondere beim Streit. Und es war tägliche Routine meiner Schwestern aus Eritrea, stundenlang am Telefon zu sprechen, auch in den frühen Stunden der Nacht.​

Wir schienen alle zu meckern, warum wir in ein Zimmer eingeteilt worden waren. Aber anstatt uns als Opfer zu sehen, verließen wir uns auf unsere kämpferischen Stärken, um den anderen in irgendeiner Weise überlegen zu sein: Sei es, so laut wie die anderen zu schreien, sei es, den anderen zu drohen oder sei es, so zu tun, als hätten wir mehr Muskelkraft als die anderen. Sicherlich waren wir nur eine frustrierte Gruppe von Menschen. Außerdem löste es in uns noch mehr Unsicherheit und Aggressivität aus, jeden Tag zu leben, ohne zu wissen, was am nächsten Tag passieren würde. Denn alles, was wir machten, war essen, schlafen und auf das Ergebnis des Asylantrags warten. Dennoch gab es keinen Grund, zu streiten, egal was die Antwort auf den Antrag sein würde. Im Gegenteil, wir hätten uns eigentlich gegenseitig unterstützen sollen.

Einfluss auf die Kinder

Ein Sprichwort lautet: „Wenn Elefanten kämpfen, leidet das Gras“. In den meisten Fällen wurden die Kinder in die erbitterten Kämpfe der Eltern involviert. Obwohl Kinder sich oft belastbar zeigen, werden Kinder aber, wenn die Eltern miteinander streiten, trotzdem beim Spielen oder Sprechen gestört. Und weil die Eltern oder Erwachsenen in der Unterkunft oft sehr laut stritten, schnappten die Kinder ein paar schlimme Worte auf, mit denen sie sich dann manchmal gegenseitig beschimpften.

……. und dann gab es die Küchenkriege

Stell dir vor: Eine Gemeinschaftsküche von mehr als dreißig Leuten. Hier war die Küche einer der verkehrsreichsten Knotenpunkte im Haus. Man könnte es mit einem geschäftigen Flughafen vergleichen. Es gab Hauptverkehrs-Garzeiten zwischen 18 und 21 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt, wenn man den Küchenflur kreuzte, wurde man von einer Mischung von verschiedenen Lebensmittel-Aromen begrüßt. Von arabischen stark duftenden Currys, westafrikanischen starken Chilis bis zum Gestank von verbranntem Essen. Manchmal waren die Chilis so stark, dass man ständig nieste und die Tränen über die Wangen flossen, auch wenn man nur an der Küche vorbei lief. Einige Gerüche waren sogar auch unerträglich zu riechen. Gelegentlich dauerte das Kochen sogar länger als erwartet, da man auch in einer Warteschlange warten musste, um den einzigen Backofen, den wir in der Zeit hatten, zu verwenden. Wenn man der Erste in die Küche war, hatte man meistens auch das Unglück, das übel stinkende Waschbecken voll von ungewaschenem Geschirr vorzufinden. Denn ein paar Leute hatten ihr Geschirr tagelang ungewaschen gelassen. In solchen Fällen, stellte man entweder das ungewaschene Geschirr auf die Seite, um das Waschbecken zu nutzen oder bat den Besitzer des Geschirrs, zu spülen und das Waschbecken zu reinigen. Letzteres führte dann meist zu Streit. Ärgerlicherweise entschieden die Männer sich in den frühen Morgenstunden der Nacht zu Kochen. Manchmal waren sie auch so laut, dass es diejenigen, die schlafen wollten, störte. Aber einige frustrierte Jungs zu bitten, leise zu sein, führte meist zu Streit.

Kampferprobt und etwas klüger

Dennoch: Obwohl unsere Unterkunft bei weitem nicht perfekt und mit einer Menge Kämpfe getrübt war, haben wir auch Freundschaften entwickelt, die Jahre gedauert haben. Einige haben sogar auch Beziehungen begonnen, die zur Ehe führten. Manche von uns hatten die Asylheime als ein Lernzentrum angesehen, das uns viel über andere Kulturen lehrte, ohne interkulturelle Vorlesungen zu besuchen. Ich bin daher froh, dass ich aus der hektischen Asyl-Unterkunft als eine Siegerin, ja als eine Titanin herauskam. Weil da drinnen nur die Starken überleben.

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Raphael Müller-Hotop

Ich heiße Raphael Müller-Hotop, bin Psychologe und war von Oktober 2014 bis August 2019 stellvertretender Vorstandsvorsitzender des NeuLand e.V.. Es begeistert mich jedes Mal aufs Neue das Engagement der AutorInnen und Ehrenamtlichen mitzuerleben und gemeinsam mit so vielen Menschen aus verschiedenen Kulturen dieses verbindende Projekt mitzugestalten. Was mir an NeuLand außerdem besonders gefällt ist der Austausch mit den AutorInnen und unser Ziel, durch die Vermittlung eines breiten Spektrums an Perspektiven Verstehen, Kennenlernen und Dialog zu fördern.