Anmerkung der Redaktion: Belinda Dibra hat in Albanien als Journalistin gearbeitet. Von München aus pflegt sie noch immer engen Kontakt zu ihren ehemaligen Studien- und Arbeitskollegen, die ihr regelmässig von den Ereignissen in Albanien berichten. Auch aus den örtlichen Medien erfährt sie, wie sich die politische Situation in ihrem Land entwickelt.
„Bildung schafft Vertrauen. Vertrauen schafft Hoffnung. Hoffnung schafft Frieden.“ Ich werde mit diesem Spruch von Konfuzius beginnen, um die jüngste Situation in meinem Land Albanien zu erklären. Konfuzius, der nicht nur Philosoph, sondern auch Politiker war, war der festen Überzeugung, dass zwischen Bildung und Frieden ein Zusammenhang besteht. Forscher, die sich mit Bildung und Frieden beschäftigen, sind in erster Linie daran interessiert, die Beziehung zwischen diesen beiden Konzepten zu entdecken und zu verstehen. Frieden – oder seine Abwesenheit – beeinflusst die Bildung erheblich. Der Frieden kann zur Verwirklichung der grundlegenden Menschenrechte beitragen, einschließlich des Rechts auf eine qualitativ hochwertige Grundbildung. Das Fehlen von Frieden oder das Vorhandensein körperlicher, struktureller und kultureller Gewalt kann die Bereitstellung von Bildungsdienstleistungen und Lernergebnissen beeinträchtigen.
Was mit dem Bildungssystem in Albanien passiert
Auf der anderen Seite wurde Bildung oft als ein wirksames Instrument zur Förderung des Friedens angesehen, da sie die Gedanken, Einstellungen und Fertigkeiten der nächsten Generation prägt. Neue Fähigkeiten sind erforderlich, um unsere unvermeidlichen Unterschiede gewaltfrei aufzulösen. Leider gibt es Situationen, in denen Frieden und Bildung nicht im Einklang stehen. Seit Dezember 2018 findet in Albanien ein Protest statt. Dieser Protest wird von Studenten organisiert, die um jeden Preis eine Gesetzesänderung in Bezug auf die Hochschulbildung wollen. So wie ich es von meinen albanischen Freunden und ehemaligen Journalistenkollegen erfahre, sind die Studenten mit den Studiengebühren nicht einverstanden, die, nach den wirtschaftlichen Standards Albaniens, zu hoch seien.

Fotos: Ivana Dervishi
Im Hochschulgesetz schwanken die jährlichen Studiengebühren zwischen 300 und 400 Euro für einen Bachelorstudiengang und zwischen 500 und 800 Euro für einen Masterabschluss. Das durchschnittliche Monatsgehalt eines Angestellten in Albanien dagegen betrug Anfang 2018, laut dem offiziellen albanischen Statistikamt „Instat“, circa 430 Euro. Als der Gesetzgeber dann noch beschloss, dass die Studenten 25 Euro für jede durchgeführte Prüfung bezahlen mussten – auch wenn sie aus bestimmten Gründen an der Prüfung nicht teilnehmen konnten oder eine Prüfung wiederholen mussten – war es der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Örtlichen Medienberichten zufolge, stellten die Studenten eine Liste von acht Forderungen an die Regierung zusammen. Unter anderem kann ich erwähnen: eine Halbierung der Studiengebühren; die Erhöhung des Studentenstimmenanteils von 10% auf 50% bei der Wahl des Dekans bzw. Rektors; mehr Fördermittel für wissenschaftliche Forschung; die Sanierung von Studentenunterkünften; eine Verdoppelung des Etats für Hochschulbildung und die Ausstellung von Studentenausweisen für alle Studenten im Studienjahr 2018 und 2019.
Die Studenten machten klar, dass politische Parteien in ihrem Protest absolut nicht willkommen sind. Aus der Ferne gab es jedoch Unterstützung von der Opposition in Albanien, die die Bürger aufforderte, sich den Studenten anzuschließen. Sie hat die Forderungen der Studenten bekräftigt, in Form von Vorwürfen gegen die Regierung. Aber, wie gesagt, die Einmischung der Opposition war nur aus der Ferne, denn sobald sie einmal versucht hatten, an dem Protest teilzunehmen, wurde sie sofort ausgeschlossen. Die Studenten weigerten sich auch mit der Regierung zu verhandeln und behaupteten, dass sich nichts ändern würde, wenn sie sich zu Gesprächen zusammensetzten. Durch eine bewusste Eskalation hofften die Studenten, die Regierung unter Druck zu setzen.

Entschlossenheit und Stärke
In einer der meistgesehenen Fernsehsendungen namens „Dritare“, die auf dem Kanal „News 24“ lief, wurde dem Fall eine Debatte gewidmet. In dieses Studio wurden nur Studenten verschiedener Fakultäten eingeladen, obwohl ohne das Wissen der Moderatorin zwei junge Mädchen in der Runde saßen, die in Wahrheit Anhänger der Regierungspartei waren. Als die Moderatorin während der Sendung per Telefon darüber informiert wurde, mussten die beiden das Studio verlassen, da keiner der anderen Studenten ihre Anwesenheit haben wollte. Nachdem mir meine Journalistenkollegin in Albanien, Rashela Shehu, von dieser Szene erzählte, wurde ich neugierig und schaute mir die Show auf Youtube an.
Fotos: Ivana Dervishi
Es ist unglaublich, aber auch bewundernswert, die Entschlossenheit und die Stärke der Jugendlichen zu sehen. „Dieser Protest wird von politischen Analysten als der größte nach dem Protest von 1990 betrachtet,“ sagt mir Rashela. Die Journalistin erinnert sich an 1990, das Jahr in dem die Studentenausschreitungen zum Zusammenbruch des kommunistischen Regimes in Albanien führten. In meinem Land gibt es viele ungebildete junge Menschen, nur weil ihre Familien die Haupt- und Zusatzkosten für den Universitätsbesuch nicht aufbringen können. Laut Statistik kann nur ein sehr geringer Prozentsatz der Absolventen im Beruf arbeiten. Alle haben das Recht auf Bildung, aber es gibt keine offenen Stellen für alle. Deshalb verlassen immer mehr Studenten das Land für andere europäische Länder, vor allem für Deutschland.
Im Wintersemester 2017 waren in Deutschland laut „statista. de“ insgesamt 1977 Studenten aus Albanien immatrikuliert. Sie verlassen ihre Heimat, ihre Familien, Freunde und alles, was sie bisher aufgebaut haben, für eine bessere Zukunft. Sie ermöglichen dies durch Programme wie Au-pair, in denen sie während ihres Studiums in einer deutschen Familie bleiben können, um ein besseres Leben zu erhalten. Obwohl der Protest größtenteils friedlich war, muss ich einige Momente erwähnen, in denen die Polizei aus Verzweiflung versuchte, die Studenten mit Tränengas und anderen Gewaltmittel zurückzuhalten, als sie versuchten, das Gebäude des Premierministers zu betreten. Bisher gibt es keinen Pakt, keine Vereinbarung. Die jungen Leute zeigen weiterhin ihre Wut auf den Straßen der Hauptstadt, mit Schildern in den Händen, darauf wartend, dass sich etwas ändert – während die Gouverneure auf dem silbernen Aschenbecher ihre Zigaretten ausdrücken.