„Den Münchnern empfehle ich: Lernt Flüchtlinge kennen!“

Anmerkung der Redaktion: Monika Steinhauser leitete lange Jahre den Münchner Flüchtlingsrat. Im Frühjahr diesen Jahres ist sie in den Ruhestand getreten. Mit dem NeuLand-Autor Mohamed spricht sie über schöne und traurige Erfahrungen in der Flüchtlingsarbeit, über die Verantwortung der Politiker – und warum es sich lohnt, die Begegnung mit Flüchtlingen zu suchen. 

Frau Steinhauser, nach fast 25 Jahren als Geschäftsführerin des Münchner Flüchtlingsrates sind Sie kürzlich in Rente gegangen. Wie geht es Ihnen? 

Ach, ich fühle mich gut. Ich bin immer noch dabei, mich zu erholen. Die letzten Jahre waren sehr anstrengend. Die große Zahl an neu ankommenden Flüchtlingen hat natürlich auch die Nachfrage nach Beratung in die Höhe schnellen lassen. Und die erfreulich vielen Menschen, die sich engagieren wollten, brauchten auch erst einmal Informationen und Vorschläge. Außerdem wurden gefühlt alle zwei Wochen die einschlägigen Gesetze geändert, und wir mussten immer auf dem neuesten Stand sein. Seither habe ich Reisen gemacht, meine Tochter in Südafrika besucht. Bis jetzt ist mir noch nicht langweilig geworden [lacht]. 

 

Beschäftigt Sie das Thema Flüchtlinge noch? 

Ich verfolge natürlich weiterhin, was in der Flüchtlingspolitik passiert, aber ich habe jetzt auch Zeit, andere Teile der Zeitung zu lesen [beide lachen] und mich ein bisschen breiter zu informieren. Das genieße ich sehr. Außerdem engagiere ich mich noch ein wenig im Bellevue di Monaco. Das ist eine Sozialgenossenschaft, die drei alte Häuser in der Müllerstraße gekauft hat. Dort haben wir Wohnraum für Flüchtlinge geschaffen, organisieren Veranstaltungen für Flüchtlinge wie für Einheimische, betreiben ein Café und bieten Beratung für Flüchtlinge an. 

Foto: Matthias Weiß

Wenn Sie zurückblicken – wie war Ihr Berufsweg, wie sind Sie zum Flüchtlingsrat gekommen? 

Nach der Realschule bin ich als Au Pair ins Ausland gegangen, habe dann in München in einem Reisebüro und in einer Werbeagentur gearbeitet. Dann habe ich mein Abitur nachgemacht und Geographie studiert, immer wieder unterbrochen von langen Reisen. Gegen Studienende habe ich geheiratet, zwei Kinder bekommen und war dann später in verschiedenen Jobs tätig. Beim Flüchtlingsrat habe ich mich zuerst ehrenamtlich engagiert. Das war im Jahr 1992. 

Woher kommt Ihr Interesse an der Flüchtlingsarbeit? 

Ich reise sehr gern und habe viele gute Erfahrungen im Ausland gemacht. Ich wollte quasi etwas zurückzahlen – also Ausländern die Möglichkeit geben, in Deutschland ebenfalls gute Erfahrungen zu machen. Außerdem bin ich schon seit vielen, vielen Jahren Mitglied bei amnesty international. Ich habe mich schon immer sehr für Menschenrechte interessiert und damit für die Gründe, warum Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Und dann eines Tages hat mich Werner Simon, damals Ausländerbeauftragter der evangelischen Kirche und einer der Gründer des Flüchtlingsrates, den es damals seit fünf Jahren gab, gefragt, ob ich nicht mitmachen wollte. 

Wie war denn die Situation der Geflüchteten damals? 

Die Situation war damals ähnlich wie 2015/16. 1992 waren so viele Flüchtlinge nach Deutschland gekommen, wie nie zuvor. Vor allem wegen der Kriege im ehemaligen Jugoslawien. Außerdem hatte der Fall des „Eisernen Vorhangs“ neue Fluchtwege auch für Menschen aus anderen Kontinenten eröffnet. In München entstanden überall neue Gemeinschaftsunterkünfte und viele Menschen haben Initiativen gegründet, um die Flüchtlinge zu unterstützen. Und auch damals versuchte die Bundesregierung mit unsäglichen Gesetzesänderungen Schutzsuchende „abzuschrecken“.

Wie sah denn ein typischer Arbeitstag für Sie als Vorsitzende des Flüchtlingsrates aus? Was waren typische Aufgaben? 

Im Büro habe ich als erstes den Anrufbeantworter abgehört und die Mails gecheckt. Vormittags boten wir eine freie Sprechstunde an, auf die man sich nicht wirklich vorbereiten konnte: Die Flüchtlinge kamen mit ihren Nöten einfach zur Tür rein. Für komplizierte Termine vergaben wir dann Termine am Nachmittag. Die Menschen kamen immer mit den unterschiedlichsten Problemen zu uns. Etwa mit Behördenpost, die sie nicht verstanden; andere wollten ihre Familie nachholen. Oft riefen auch Menschen an, die sich engagieren wollten. Oder man rief selbst irgendwo an, etwa in einer Behörde, um etwas zu klären. Eigentlich habe ich den ganzen Tag geredet! [lacht] Dazu kamen noch Aufgaben wie die Recherche zu rechtlichen Themen oder die Organisation von Veranstaltungen und die Öffentlichkeitsarbeit. Dann überlegte man sich Aktionen mit anderen zusammen. Wir haben zum Beispiel Ausstellungen gemacht. In den letzten Jahren haben wir uns an der „Langen Nacht der Museen“ beteiligt, um Fluchtgründe und Lebensbedingungen von Flüchtlingen in München auch Menschen nahezubringen, die sich sonst nicht mit diesen Themen beschäftigen. 

Was waren die schönsten Erlebnisse bei Ihrer Aufgabe? 

Ich habe immer wieder tolle Erfahrungen gemacht. Ich habe interessante Menschen kennengelernt, unter Einheimischen wie unter Flüchtlingen. Und wir haben viel gelacht, mit Flüchtlingen wie untereinander im Team. Lachen ist so wichtig! Man hatte ja auch immer wieder mal tolle Erfolge, wir konnten mitunter kleine Wunder bewirken – auch wenn wir große bräuchten. Einmal hatten wir eine Familie in die Härtefallkommission eingebracht. Da mussten wir dann innerhalb von drei Tagen Arbeitsplätze für die Eltern und eine Wohnung finden. Aber es hat geklappt! 

Schlechte Tage gab es aber auch? 

Natürlich, wenn etwas nicht so klappt, wie wir uns das vorstellen. Wenn etwa jemand kommt, der ganz verzweifelt ist. Dann ist es wichtig, dass einer da ist, der zuhört. Dass Flüchtlinge sprechen können über ihre Sorgen und Ängste, ihren Frust. Man darf nicht unterschätzen, wie wichtig das Zuhören ist, weil es Menschen Kraft gibt, weiter zu machen. Wo sie sonst hinkommen, haben die Leute keine Zeit. In den Ämtern wollen sie ihre Geschichten nicht hören, die Sozialpädagogen in den Unterkünften sind überlastet. Zuhören ist ein ganz wichtiger Teil unserer Arbeit. Auch wenn es natürlich oft belastend ist, eine schlimme Geschichte nach der anderen zu hören. 

Foto: Matthias Weiß

Was erwarten Sie von Politikern, wenn es um Flüchtlinge geht? 

Dass sie mal wieder in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UNO, in die Grundrechtecharta der EU und in unsere Verfassung schauen – und ihre Politik daran ausrichten. Außerdem erwarte ich, dass sie sich klar machen, was sie mit ihren Gesetzen konkret anrichten. Dass die Mehrheit von ihnen das nicht tut, zeigt die Flüchtlingsgesetzgebung seit 2015 deutlich. Gerade wenn es um so etwas Grundlegendes geht, muss sich ein Politiker damit beschäftigen, welche Folgen seine Entscheidung für die Betroffenen hat. 

Wie sehen Sie die Situation in München? 

Die Haltung gegenüber Flüchtlingen ist in München sicher besser als in vielen anderen Regionen. Was auch etwas damit zu tun hat, dass die Stadtspitze einschließlich der CSU – dort zumindest ein Teil – einen recht vernünftigen Kurs gegenüber Flüchtlingen fährt. Auch wenn es immer etwas zu kritisieren gibt, haben wir hier im Rathaus und in den Behörden doch viele Leute, mit denen man reden kann. Dass die Lage in München vergleichsweise gut ist, ist aber ganz wesentlich auch ein Verdienst der Bürger und Bürgerinnen, die sich für Flüchtlinge engagieren. 

Sie haben so viel Erfahrung in der Arbeit mit Flüchtlingen – haben Sie eine Empfehlung für Politiker und Bürger? 

Politiker sollten alle Bürger – und dazu zählen natürlich genauso die Flüchtlinge – mit Anstand und Respekt behandeln. Respekt auch vor den Erfahrungen, die Flüchtlinge einerseits mitbringen und andererseits gemacht haben. Und natürlich sollten sie niemanden absichtlich in Angst und Schrecken versetzen. Niemand darf in Länder zurückgeschickt werden, in denen schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Wenn ich jemanden einem menschenverachtenden Regime ausliefere, ist das fast so schlimm, wie wenn ich selbst solche Taten begehe. Und den Münchnern empfehle ich: Lernt Flüchtlinge kennen! Am Arbeitsplatz, in der Schule, im Bellevue, beim Infoabend im Flüchtlingsrat. Solche Begegnungen sind sehr spannend, denn man lernt viel – nicht nur über andere Kulturen, sondern auch über unsere eigene! 

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Raphael Müller-Hotop

Ich heiße Raphael Müller-Hotop, bin Psychologe und war von Oktober 2014 bis August 2019 stellvertretender Vorstandsvorsitzender des NeuLand e.V.. Es begeistert mich jedes Mal aufs Neue das Engagement der AutorInnen und Ehrenamtlichen mitzuerleben und gemeinsam mit so vielen Menschen aus verschiedenen Kulturen dieses verbindende Projekt mitzugestalten. Was mir an NeuLand außerdem besonders gefällt ist der Austausch mit den AutorInnen und unser Ziel, durch die Vermittlung eines breiten Spektrums an Perspektiven Verstehen, Kennenlernen und Dialog zu fördern.