Das ruhige Meer

Was versteckt sich unter der Oberfläche der Sprache?

Von Beginn meines Aufenthaltes an in Deutschland habe ich mich bemüht, Deutsch zu lernen. Inzwischen kenne ich mich mit der Grammatik und Rechtschreibung aus. Johann Wolfgang von Goethe sprach auch gut Deutsch und dichtete zudem beachtlich. Ja, soweit bin ich noch nicht.

Bayerisch verstehe ich weitgehend, weil ich viel Kontakt und viele Gespräche mit Einheimischen hatte und habe.

Die Sprache ist wie ein ruhiges Meer, oberflächlich versteht man das Gesagte, aber was versteckt sich hinter den Wörtern? Unter der Wasseroberfläche gibt es Strudel und Untiefen und noch Allerlei.

An einem wunderschönen Sommertag im Garten meiner Bekannten kam das Thema Gartenpflege zur Sprache.

Sie aber erklärte mir, dass das in Bayern ein Kompliment sei, genauso wie »Du hast einen grünen Daumen.« Diese Aussage nahm ich wieder wörtlich und ging die grünen Rasenreste vom Finger waschen. Beim gemeinsamen Kaffeetrinken wiederholte sie ihren Satz und ich zeigte ihr meinen sauberen Daumen. Dann klärte sie das Missverständnis auf.

Auch im Arabischen gibt es Sprichwörter, die zu Missverständnissen führen. Ich saß in einem Café mit einem hübschen deutschen Mädchen, mit dem ich mich verloben wollte. Es wusste viel über mein Land und redete nur positiv darüber. Ich wollte ihr ein Kompliment machen und zitierte das Sprichwort »Man kann mit der Zunge lügen, aber nicht mit den Augen.« Diese Worte sind nicht wie gemeint rübergekommen. Die junge Frau reagierte empört, schlug mit den Fäusten auf den Tisch, so dass der Kaffee überschwappte und verließ das Café auf Nimmerwiedersehen.

„Holt die Kuh vom Eis.“
Ich schaute verdutzt auf den See,
konnte jedoch
keine Kuh entdecken.

Sie meinte, dass es höchste Zeit sei, einige pflegerische Handgriffe zu erledigen. Ich war sofort bereit dazu. Sie war einverstanden nach dem Motto »Das Eisen soll man schmieden, solange es heiß ist«.

Erstaunt sagte ich, ich könne kein Eisen schmieden. Sie lachte. Offensichtlich hatte ich den Sinn der Wörter nicht verstanden. Ich machte mich alleine ans Werk.

Nach einiger Zeit kam die Gartenbesitzerin zurück und erfreute sich am Anblick des Gartens und sagte: »A Hund bist scho.« Diese Beleidigung wollte ich nicht auf mir sitzen lassen.

Im letzten Winter war der See zugefroren, aber das Eis noch nicht tragfähig. Auf unserem Spaziergang rund um den See musste ich das aber ausprobieren. Ich schlug die Warnungen in den Wind. Gleich am Ufer brach ich mit einem Bein ein, konnte mich nur auf allen vieren stabilisieren.

Ein Spaziergänger rief meinen Begleitern zu: »Holt die Kuh vom Eis.« Ich schaute verdutzt auf den See, konnte jedoch keine Kuh entdecken. Meine Freunde hielten sich den Bauch vor lauter Lachen. Die Sprichwörter sind die Würze in der Sprache wie das Salz in der Suppe.

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Raphael Müller-Hotop

Ich heiße Raphael Müller-Hotop, bin Psychologe und war von Oktober 2014 bis August 2019 stellvertretender Vorstandsvorsitzender des NeuLand e.V.. Es begeistert mich jedes Mal aufs Neue das Engagement der AutorInnen und Ehrenamtlichen mitzuerleben und gemeinsam mit so vielen Menschen aus verschiedenen Kulturen dieses verbindende Projekt mitzugestalten. Was mir an NeuLand außerdem besonders gefällt ist der Austausch mit den AutorInnen und unser Ziel, durch die Vermittlung eines breiten Spektrums an Perspektiven Verstehen, Kennenlernen und Dialog zu fördern.