Das Knallen der Schüsse durchbricht die Ruhe der bayerischen Landeshauptstadt

Anm. d. Red.: Erinnerungen und Gedanken des NeuLand-Autors Adnan Albash, welche  durch die Bilder und Ereignisse rund um den Amoklauf vom 22. Juli 2016 angeregt wurden.

Ein paar Stunden am Freitagabend, am 22. Juli 2016, lassen mich in die Vergangenheit gehen, und mich an schreckliche Momente erinnern.

Schreckliche Momente, die ich mit meiner Familieerlebt habe: mit meinem Vater, der seit mehr als drei Jahren verschwunden ist, mit meiner Freundin, deren Blut sich mit ihrem zerstörten Haus vermischt hat, mit meinen Freunden, die gezwungen wurden, ihre Häuser und unser Land zu verlassen und in der Welt umherzuirren.

Das ist nicht alles, an was ich mich erinnert habe, sondern ich dachte auch an das tolle Leben, das wir vor dem Krieg gelebt hatten.

Ich habe mich an den Weg zur Schule erinnert, an das Lächeln meiner Freunde, an mein Zimmer, an meine Moschee, an die Kirche, die in meiner Straße war, an mein Haus, von dem gar nichts übriggeblieben ist.

Alles war gut, alles war schön, bis die große, ungeheure, tödliche Gefahr kam, die im Vormarsch ist und nicht Halt machte vor meiner Stadt, vor meinem Zuhause, vor meiner Familie.

Während die ganze Völkergemeinschaft stumm blieb, wurde mein ganzes Land, mit allem, was es schön und lebenswert machte, zerstört.

Wir sind nicht aus persönlichen Gründen hier gelandet, sondern wir sind gezogen, gezwungen worden, unser Land, unsere Heimat zu verlassen und diesen Weg und dieses neue Leben zu gehen.

Von vielen wurden wir nur wie eine Nummer behandelt. Sie zählen unsere Opfer, unsere Toten, unsere Schiffbrüchigen, unsere Gefangenen und unsere Vermissten.

Sie weinen manchmal und schämen sich manchmal, während sie nur einen kleinen Teil von den Nachrichten, die von uns erzählen und von unserem Land berichten, sehen, dann wechseln sie schnell den Kanal oder sprechen über ein anderes Thema, denn sie wollen nicht mehr daran denken oder sich das vorstellen.

Und was noch schlimmer ist, ist wenn einige anfangen, uns schnell vorzuverurteilen, obwohl sie gar nichts über uns wissen.

Mich ärgert immer noch diese Diskriminierung auf der Erde. Wie reagiert die Welt, wenn in Deutschland etwas passiert, und wie reagiert sie, wenn in Syrien jeden Tag viel Schlimmes passiert? Als ob es einen Unterschied zwischen den Menschen gäbe. Vorher wurde der Rassismus klar ausgedrückt, man sagte es und lebte ihn auch, aber jetzt ist es noch schlechter: der gleiche Rassismus, aber versteckt!

Viele Länder haben mit uns gespielt und viele Länder haben uns verkauft und Geld durch uns verdient. Unsere Stimmen wurden getötet und niemand hat uns gehört. Die Farbe des Blutes wurde zu einer normalen Farbe. Unser Blut hat sich mit dem Wasser des Meeres vermischt und sich auf die Grenzen der Länder verstreut.

Aber was hätten wir damals machen können? Gar nichts… Wir waren noch im Schock, wir waren ganz müde, ziellos, verwirrt, erschöpft und verloren, aber die Hoffnung hatten wir noch nicht ganz aufgegeben. Wir haben viel gekämpft, wir haben unsere ganze Kraft gegeben, alles, was wir an Geld und Energie hatten, eingesetzt.

Ich weiß, dass niemand in der Welt uns wiedergeben kann, was wir in den letzten 5 Jahren verloren haben. Niemand kann meinen Vater, meine Freunde, meine Bekannten wieder zum Leben erwecken. Niemand kann mir diese letzten fünf Jahre wiedergeben. Wenn das alles nicht passiert wäre, könnte ich nächstes Jahr als Arzt arbeiten.

Foto: Caro Zwinz

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Raphael Müller-Hotop

Ich heiße Raphael Müller-Hotop, bin Psychologe und war von Oktober 2014 bis August 2019 stellvertretender Vorstandsvorsitzender des NeuLand e.V.. Es begeistert mich jedes Mal aufs Neue das Engagement der AutorInnen und Ehrenamtlichen mitzuerleben und gemeinsam mit so vielen Menschen aus verschiedenen Kulturen dieses verbindende Projekt mitzugestalten. Was mir an NeuLand außerdem besonders gefällt ist der Austausch mit den AutorInnen und unser Ziel, durch die Vermittlung eines breiten Spektrums an Perspektiven Verstehen, Kennenlernen und Dialog zu fördern.