Hassan Ali Djan kam 2005 als Flüchtling nach Deutschland. Er hat ein Buch geschrieben: Über seine eigene Geschichte, über seine Flucht und seine Anfänge in München. Inzwischen hat er die Mittlere Reife, eine abgeschlossene Lehre, eine eigene Wohnung und eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung.
Mit der Biografie „Afghanistan. München. Ich“ möchte er auch Mut machen. Das Interview führten wir im Rahmen einer Lesung, die Herr Djan vor jungen Asylbewerbern und Flüchtlingen an der Berufsschule zur Berufsvorbereitung an der Balanstraße gehalten hat. Das Interview ist mit kursiv markierten Ausschnitten aus dem Buch ergänzt.
NeuLand: Wie kam es, dass Sie sich auf den Weg nach Europa machten?
Hassan Ali Djan: Ich war 11 Jahre, als mein Vater gestorben ist. Da habe ich die gesamte Verantwortung für die Familie bekommen und das war sehr schwierig. Ich hatte keine andere Möglichkeit – was sollte ich da machen? Ich musste meine siebenköpfige Familie ernähren. Dann habe ich angefangen, als Hirte und als Diener zu arbeiten. Ein Jahr lang. Da habe ich gesehen: Damit kann ich die Familie nicht über Wasser halten. Ich wollte in den Iran reisen. Ich war der Meinung, wenn ich dort bin, kann ich meine Familie ernähren. Dann bin ich illegal dort hin gereist und habe verzweifelt gesehen, dass ich so jung bin und mich niemand brauchen konnte. Die einzige Arbeitskraft, die zählte, war stark zu sein, schwere Sachen zu heben und sich nicht gegen die Arbeitszeiten und Bedingungen zu wehren. Jeder kämpft für sich und ich habe gekämpft, um dort eine Arbeit zu finden. Ich habe erst als Aufpasser gearbeitet und war Ansprechpartner für Subunternehmer und Lieferanten. Danach habe ich angefangen, beim Fliesenleger zu arbeiten. Das habe ich vier Jahre lang gemacht und dann wurde es schwieriger, weil meine Geschwister größer wurden und die Erwartungen auch stiegen. Und da habe ich gedacht: Mein Leben muss auch erfüllt sein, es macht keinen Sinn, wenn ich ein Held bin, aber dabei zugleich ein Opfer. Dann habe ich diese schwierige Entscheidung getroffen, woanders ein besseres Leben zu suchen.

NeuLand: Wie kam es, dass Sie sich auf den Weg nach Europa machten?
Hassan Ali Djan: Ich war 11 Jahre, als mein Vater gestorben ist. Da habe ich die gesamte Verantwortung für die Familie bekommen und das war sehr schwierig. Ich hatte keine andere Möglichkeit – was sollte ich da machen? Ich musste meine siebenköpfige Familie ernähren. Dann habe ich angefangen, als Hirte und als Diener zu arbeiten. Ein Jahr lang. Da habe ich gesehen: Damit kann ich die Familie nicht über Wasser halten.
Ich wollte in den Iran reisen. Ich war der Meinung, wenn ich dort bin, kann ich meine Familie ernähren. Dann bin ich illegal dort hin gereist und habe verzweifelt gesehen, dass ich so jung bin und mich niemand brauchen konnte. Die einzige Arbeitskraft, die zählte, war stark zu sein, schwere Sachen zu heben und sich nicht gegen die Arbeitszeiten und Bedingungen zu wehren. Jeder kämpft für sich und ich habe gekämpft, um dort eine Arbeit zu finden. Ich habe erst als Aufpasser gearbeitet und war Ansprechpartner für Subunternehmer und Lieferanten. Danach habe ich angefangen, beim Fliesenleger zu arbeiten. Das habe ich vier Jahre lang gemacht und dann wurde es schwieriger, weil meine Geschwister größer wurden und die Erwartungen auch stiegen.
Und da habe ich gedacht: Mein Leben muss auch erfüllt sein, es macht keinen Sinn, wenn ich ein Held bin, aber dabei zugleich ein Opfer. Dann habe ich diese schwierige Entscheidung getroffen, woanders ein besseres Leben zu suchen.
NeuLand: Was waren die ersten Gedanken, die ersten Gefühle, als Sie hier angekommen sind?
Hassan Ali Djan: Ich wusste gar nicht, wo ich bin und ich wollte nicht nach Deutschland. Das war meine einzige Bitte unterwegs. Bloß nicht nach Deutschland:
„Patras war schlimmer als alle Stationen zuvor. Dort lebten Tausende Flüchtlinge im Wald, wie ich, aßen, was sie in Mülltonnen fanden, kämpften, auch gegeneinander, um in den Norden zu kommen. Während der drei Wochen dort habe ich Afghanen getroffen, die lange Zeit in Deutschland verbracht hatten, manche Jahre. Das Land sei nicht gut zu Einwanderern, erzählten sie.
Zwar hatten sie, während sie auf das Ende ihres Asylverfahrens warteten, ein Bett und genug zu essen, sie waren nicht eingesperrt. Und trotzdem fühlten sie sich wie in einem Gefängnis, entmündigt. Alles wurde ihnen abgenommen, das Einkaufen, das Waschen, das Putzen. Das Schlimmste: Während sie darauf warteten, zu erfahren, ob sie bleiben konnten oder nicht, durften sie nicht arbeiten, keine Schule besuchen, kein Deutsch lernen. Sie hatten die ganze Zeit überhaupt nichts zu tun. Und dann waren sie nach Monaten und Jahren des Wartens doch nach Griechenland abgeschoben worden. Einfach, weil Griechenland das erste europäische Land war, das sie erreicht hatten. Jetzt wollten sie nach England oder nach Skandinavien. Sie fürchteten, wieder nach Deutschland zu gelangen. Jahrelang warten? Ohne Arbeit? Das kann ich nicht, dachte ich, als ich ihre Erzählungen hörte. Was soll denn aus meiner Familie werden? Sie brauchen mich doch! Als ich im Ersatzreifen lag und auf den Asphalt blickte, der unter mir vorbeiraste und immer neue graue Muster formte wie das Bild in einem Kaleidoskop, betete ich, mein Lastwagen möge bloß nicht nach Deutschland fahren.“ (Buchausschnitt S.8-9)
Hassan Ali Djan: Afghanistan sagen „Germany“ und im Iran sagen sie „Alman“. Als ich dann gehört habe „Deutschland“, habe ich zu mir gesagt: Gott sei Dank. Das habe ich bisher noch nicht gehört. Und es gibt niemanden, der es hierher geschafft hat. Nach zwei, drei Tagen hat sich dann aber herausgestellt, dass es doch Deutschland ist. Und dann habe ich mich erinnert, wie die deutschen Polizisten mit mir umgegangen sind:
„Ich sage mir, dass die Polizisten und die anderen Leute, die ich bisher kennengelernt habe, freundlicher waren als an allen anderen Orten, an denen ich bisher gewesen war. Und dass es hier deshalb so schlimm nicht sein kann. Vielleicht habe ich Glück? Vielleicht ergeht es mir anders als den anderen?“ (Buchausschnitt S.15)
„’Wir könnten dich jetzt sofort nach Athen zurückschicken‘, sagt einer der Polizisten, er schaut mich streng an. Ich will protestieren, doch ich bin zu schwach. Der Polizist blickt mich lange an. „Wir geben dir eine Chance. Weil du minderjährig bist.“ Ein Gericht werde entscheiden, ob ich bleiben kann oder nicht. Ein Gericht? Ich werde meine Geschichte erzählen können, denke ich, ich werde für mich sprechen können. Ich muss an Griechenland denken, wo mir Polizisten einen Abschiebebescheid ausgestellt hatten, ohne ein Wort mit mir gewechselt zu haben. Und wieder denke ich: Deutschland kann so schlecht nicht sein.“ (Buchausschnitt S.19)
Hassan Ali Djan: Ich konnte am Anfang nichts sagen und nichts verstehen und habe ein Papier vor die Nasen der Anderen gehalten. Die Menschen in der S-Bahn sind mit mir mitgefahren und ausgestiegen, haben gewartet und mir gezeigt, wo ich aussteigen soll. Das hat mir ein gutes Bild von den Deutschen gegeben. Und ich habe gedacht: Vielleicht ist es nicht so schlimm wie die anderen erzählen.
Der erste Gedanke ist natürlich: Was wird mit mir gemacht? Ich hab von Anfang an gewusst, auf diesem Weg kann ich meine Arme brechen, meine Beine brechen und krank werden, sterben, alles war mir bewusst. Aber jetzt bin ich angekommen, was wird dann? Und es gibt viele neue Fragen. Persönliche Fragen und wer sind die Wohlfahrtsverbände? Wer ist der Staat, wer hilft mir, wer ist ehrenamtlich, wer ist was? Niemand war da, um diese Organisationen und Mechanismen zu erklären. Das war sehr schwierig. Du hältst alle für den deutschen Staat. Es gibt nichts, worauf man sich verlassen kann. Das ist Verzweiflung.
NeuLand: Gibt es etwas, das Sie hier in unserer Gesellschaft vermissen, etwas, das hier nicht so gut läuft?
Hassan Ali Djan: Hier laufen viele Sachen sehr gut, was ich bewundere. Und höchsten Respekt habe ich davor, was unsere Kanzlerin macht. Das ist die einzige und die richtigste Strategie, die es überhaupt in der politischen Diskussion gibt. Das werden wir alle sehen. Wir sehen, welche Konflikte es in der Europäischen Union gibt. Die Österreicher sagen, die Solidarität wird nicht so weiter laufen, weil die anderen sich an dieser Flüchtlingsthematik nicht beteiligen. Das ist ein Krieg gegeneinander, auf einer anderen Ebene. Was die Bundeskanzlerin macht, das ist: Reden, reden, reden – das ist die einzige Lösung.
NeuLand: Was wünschen Sie sich? Was könnte besser laufen?
Hassan Ali Djan: Diesen Menschen, die hierher kommen, sollten nicht nur offene Herzen und diese Willkommenskultur gezeigt werden. Sondern sie sollten auch mitbekommen, dass das Leben hier auch zu Enttäuschungen führt, und dass man lange auf das Asylverfahren wartet.
Sie sollen sehen, dass nicht die Bundeskanzlerin und der Herr Seehofer der Staat sind, sondern der Herr Müller und der Herr Maier, die ihnen Arbeit geben und die Steuern in die Staatskasse zahlen. Solche Sachen sollten die Menschen mitbekommen. Damit sie ein Bild haben, was auf uns zukommt. Sie müssen auch mitbekommen, dass wir eine Demokratie haben und dass vieles nicht so einfach ist.
Die Erwartungen sind sehr hoch. Ich weiß nicht, was die erzählt bekommen auf dem Weg, dass sie mit Erwartungen kommen, die in 100 Jahren nicht erfüllt sein werden.
Und die Aufnahmegesellschaft sollte genauso sehen: Diese Menschen sind wie wir. Der einzige Unterschied ist: Sie sind durch die zerbombten Länder geflüchtet. Aber was die Menschlichkeit angeht, sind sie genauso wie wir. Es gibt viele, die hierher kommen, die gar nicht sehen, was unsere Erwartungen sind, was unser Beitrag ist. Natürlich sind die auch in der Pflicht. Wenn ein Angebot kommt, sollen sie es annehmen, weil mehr als drei Sachen sind nicht drin: Erstens ein Dach über den Kopf, genügend zu essen und ein warmer Schlafplatz. Und wenn es die Möglichkeit gibt: Ein Zugang zur Schule oder Ehrenamtliche, die ihre Zeit spendieren. Mehr gibt es am Anfang nicht.
Sie müssen die Realität erkennen. Weil so viele nachkommen. Das ist das, was mich zum Teil stört, dass die Leute, die hier sind, wenig informiert sind. Die sollen informiert werden, von allen Seiten, die es gibt. Positiv wie Negativ. Das ist mein Wunsch.
NeuLand: Wie gelingt die Integration Ihrer Meinung nach am besten?
Hassan Ali Djan: Integration ist für mich keine Einbahnstraße. Das muss von beiden Seiten kommen. Da sehe ich eine sehr große Chance für die Aufnahmegesellschaft und für die Menschen, die hier Zukunft finden, weil die Deutschen von ihnen viel lernen können und sie müssen auch von den Deutschen viel lernen und so kommen wir weiter.
NeuLand: Haben Sie Ziele für die Zukunft und welche sind das?
Hassan Ali Djan: Ich habe viele Ziele ja. Aber ich bleibe realistisch. Mein Ziel ist es, dass ich die Familie in Afghanistan besser unterstützen kann. Ich hoffe, dass sie eine Perspektive bekommen, um auf eigenen Füßen zu stehen. Das ist die momentane Situation. Ich werde mit dem Gesellenbrief nicht zufrieden sein. Ich würde mich weiterbilden, eine Meisterschule machen oder eine Technikerschule machen oder ich sehe vielleicht ganz was anderes, entwickle Fähigkeiten, die ich habe.
NeuLand: Sie sind auch ein bisschen wie ein Vorbild für junge Asylbewerber. Sie können mit ihren Lesungen viel bewirken.
Hassan Ali Djan: Das ist meine Hoffnung. Dass ich mein privates Leben in der Öffentlichkeit darstelle – damit will ich helfen. Man muss auch bereit sein, alles Mögliche zu hören, sei es positiv oder negativ. Das ist mein Ziel, dass ich den Menschen ein bisschen helfen kann oder Gedankenanstöße gebe, dass sie sich hier auch stark fühlen und weiterkommen.
NeuLand: Vielen Dank Herr Djan!
Djan, Hassan Ali: Afghanistan. München. Ich. Meine Flucht in ein besseres Leben, erschienen im Herder-Verlag