Interview mit einem jungen Kurden aus dem Nordirak
Unser Gesprächspartner ist ein 18-jähriger kurdischer Jeside, flüssig Deutsch sprechend. Er lebt derzeit in der Bayernkaserne und macht eine Ausbildung. Im folgenden Interview möchte er anonym bleiben.
Hallo, vielen Dank, dass Du Dir Zeit nimmst! Wie war die Ankunft in Deutschland für dich?
Gut. Aber es ist eng hier, wir sind immer noch acht Personen in einem Zimmer. Das macht es oft schwer, auf meine Prüfungen zu lernen. Im Irak hatten wir ein großes Haus, wo wir alle ein eigenes Zimmer hatten.
Was kommt dir zuerst in den Sinn, wenn du an das Lighthouse denkst?
Ausflüge, Freunde, Tee und Informationen.
Was gefällt dir am Lighthouse? Was gefällt dir nicht?
Dort arbeiten freundliche Mitarbeiter, die uns helfen, wenn wir etwas brauchen. Und durch das Lighthouse habe ich viele Freunde und Mitbewohner kennengelernt. Auch die Ausflüge und die gemeinsamen Spiele gefallen mir. Mir gefällt es nicht so, wenn wir im Winter und Regen draußen bleiben müssen. Es dürfen nämlich nur Ehrenamtliche und Mitarbeiter in das Lighthouse hinein, weil es nicht für alle Platz gibt.
Wie haben sich die Bayernkaserne und das Lighthouse in deinen letzten drei Jahren hier verändert?
Viele Mitbewohner sind umgezogen und es sind neue gekommen. Aber der Umgang mit den Mitbewohnern ist jetzt besser, weil wir uns jetzt mehr kennen.
Gibt es für dich besondere Orte/Lieblingsorte in der Bayernkaserne?
Ja, zuerst das Haus, wo ich wohne. Das ist mein Zuhause, weil meine Familie auch hier ist. Ansonsten das Lighthouse, hier komme ich hin, wenn ich nichts zu tun habe, trinke einen Tee und unterhalte mich mit den Ehrenamtlichen.
» Mir gefällt die Freiheit und dass man mehr Rechte hat.“
Was war dein schönstes Erlebnis hier?
Als meine Familie hier angekommen ist und alle in Sicherheit waren. Ich bin nämlich einen Monat vor meiner Familie gekommen.
Was kann das Lighthouse anders machen?
Es wäre toll, das Lighthouse auch am Wochenende aufzumachen. Vorher hat das immer ein bestimmter Ehrenamtlicher gemacht, aber der ist nun weg. Es gibt zwar viele Ehrenamtliche, aber die kommen sehr selten am Wochenende. Nun wäre es toll, wenn du uns etwas zu deiner jesidischen Herkunft erzählst. Von meiner Herkunft her bin ich Kurde aus dem Nordirak. Von meiner Religion her bin ich Jeside (kurdisch: Êzîdî).
Fast alle Jesiden sind Kurden, vielleicht nur zwei Prozent sind Araber. Wir sagen, dass das Jesidentum die älteste Religion ist. Wir Jesiden dürfen nur andere Jesiden heiraten. Als Jeside wird man geboren, keiner darf zum Jesidentum konvertieren. Jesiden dürfen schon zu anderen Religionen konvertieren, aber ich kenne niemanden, der das gemacht hat. Es gibt drei verschiedene Arten von Jesiden, die dürfen auch nicht untereinander heiraten. Man kann das z.B. mit dem katholischen oder evangelischen Christentum vergleichen. Es gibt die Mîriden, die »normalen« am häufigsten vorkommenden Jesiden, zu denen ich auch gehöre. Es gibt die Scheichen, von denen die meisten Priester und Priesterinnen sind. Und die Pîren sind ähnlich wie die Scheichen, aber strenger in ihrem Glauben.
Ok, das sind die Regeln, dass Jesiden nur untereinander heiraten dürfen. Aber kann man die immer so einhalten?
Ja. Es gibt zwar nur 200.000 Jesiden in Deutschland, aber auf jesidischen Hochzeiten können sich Mädchen und Jungen kennenlernen. Ich kann überhaupt nicht sagen, ob ein Jeside eine Deutsche geheiratet hat oder umgekehrt. Es könnte funktionieren, aber dann ist die Familie nicht einverstanden. Dann spricht die Familie nicht mehr mit einem und das will keiner riskieren.

Gibt es typische Rituale?
Wir feiern viele Feste, das wichtigste ist das jesidische Neujahrsfest Çarşema Sor (deutsch: »roter Mittwoch«). Das ist für uns der Tag, wo die Erde erschaffen wurde. Wir bemalen die Eier bunt, weil die Erde auch bunt aussieht. Es wird zur gleichen Zeit wie Ostern gefeiert.
Alle Jesiden müssen im großen heiligen Tempel Lalesch getauft werden in Kurdistan in den Bergen. Es ist da sehr schön und man geht dort hin zum Beten. Es ist so wie Mekka für die Moslems. In Deutschland haben wir keinen Tempel, ich weiß nicht warum. Wir beten eigentlich nur, wenn wir einen Tempel haben.
Im Dezember fasten wir auch drei Tage lang, am vierten Tag wird gefeiert. Dann ist die Familie zusammen und es gibt spezielles Essen, z.B. Kutlik (Grießklöße mit Fleisch und Gemüse gefüllt).
Gibt es bei den Jesiden auch Propheten oder Engel?
Wir glauben nur an einen: Tausī Melek, den Pfauenengel. Er soll uns beschützen. Wir Jesiden haben keinen Propheten.
Lebst du deinen Glauben hier in Deutschland aus?
Ich bin nicht so streng, aber ich werde auf jeden Fall eine Jesidin heiraten.
Was gefällt dir an der deutschen Kultur – was nicht?
Mir gefällt die Freiheit und dass man mehr Rechte hat. Außerdem finde ich das Oktoberfest toll, Lederhosen und Dirndl sehen sehr schön aus. Ich mag auch das bayerische Bier. Alle Jesiden dürfen essen und trinken, was sie möchten. Unsere Omas und Opas haben früher bloß gesagt, dass man keinen Kopfsalat essen darf, ich weiß auch nicht warum. Aber die meisten essen es trotzdem.
Was ich schlecht finde sind rassistische Menschen. Indirekt hatte ich schon Probleme, z.B. haben meinen Freund und mich bei einem Fest im Olympiapark zwei junge Männer grundlos beleidigt. Wir waren uns sicher, dass sie es wegen unseren schwarzen Haaren und unserer Hautfarbe getan haben. Wir sind dann einfach weitergegangen.
Was ist dein Traumberuf ?
Seit der Schule will ich unbedingt etwas im Bereich Sicherheit machen. Am liebsten würde ich zur Polizei, die finde ich in Bayern sehr gut, weil sie strenge Regeln hat und für Ordnung sorgt.
Welche Wünsche/Träume/Pläne hast du für die nächsten fünf Jahre?
Ich möchte immer noch mit meiner Familie zusammen sein, aber ich würde gerne etwas an der Wohnsituation ändern. Außerdem will ich meine Ausbildung schaffen. Vielleicht bin ich dann auch schon Polizist.
Ok, vielen Dank für deine Offenheit und das tolle Interview!
Jesiden
Die Jesiden sind eine ethnischreligiöse Gemeinschaft kurdischer Sprache, beheimatet in den kurdischen Gebieten. Von den weltweit etwa eine Million Jesiden leben ca. 150.000 in Deutschland. Ihre Religion ist schätzungsweise 4000 Jahre alt: monotheistisch und mündlich überliefert in Hymnen und Bräuchen. Eine besonders wichtige Figur ist als Mittler zwischen Gott und Mensch der Engel Melek Taus in der Gestalt eines Pfaus. Ihn ruft man an in der Not, er wird gefeiert am Neujahrsfest am 14. April.
Jeside kann man nicht werden, sondern man wird als solcher geboren, wenn beide Eltern Jesiden sind. Eine Heirat mit Nichtjesiden bedeutet den Ausschluss aus der Gemeinschaft. Jesiden glauben an die Seelenwanderung (jeder wählt sich ein Jenseitsgeschwister zur spirituellen Begleitung im Leben und zur Hilfe beim Übergang ins Jenseits) und die Wiedergeburt.
Sie werden von religiösen Fanatikern immer noch als Teufelsanbeter beleidigt und verfolgt, ihrerseits jedoch sind sie tolerant anderen Religionsgemeinschaften gegenüber.
Quellen: Bundeszentrale für Politische Bildung, Telim Tolan: Das Yesidentum, Religion und Leben, Oldenburg 2007